Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
wandte Rydberg ein.
»Ich weiß«, sagte Kurt Wallander. »Aber wir müssen jetzt einfach weitermachen.«
Nach einem Blitzeinsatz Martinssons lag ihnen auch eine Photographie Erik Magnussons vor, die aus dem Archiv der Stadtverwaltung stammte. Sie war einer Broschüre entnommen, in welcher die Stadtverwaltung ihre umfassenden Aktivitäten einer Bevölkerung vorstellte, von der angenommen wurde, daß sie nicht das geringste darüber wußte. Björk, der die Auffassung vertrat, daß alle staatlichen und kommunalen Einrichtungen eigene Ministerien benötigten, die bei Bedarf den unwissenden Massen eintrichtern konnten, welche kolossale Bedeutung gerade diese oder jene Einrichtung hatte, fand die Broschüre ausgezeichnet. Wie auch immer, Erik Magnusson stand jedenfalls neben seinem gelben Gabelstapler, in einen leuchtend weißen Overall gekleidet.
Er lächelte.
Die Polizeibeamten betrachteten sein Gesicht und verglichen es dann mit ein paar Schwarzweißphotographien von Johannes Lövgren. Unter anderem hatten sie ein Bild, auf dem Johannes Lövgren neben seinem Traktor auf einem frischgepflügten Feld stand.
Konnten sie Vater und Sohn sein? Der Traktorfahrer und der Gabelstaplerfahrer?
|288| Kurt Wallander fiel es schwer, die Bilder genau zu betrachten und sie dann miteinander zu verschmelzen.
Das einzige, was er vor Augen hatte, war das blutige Gesicht eines alten Mannes, dem die Nase abgeschnitten worden war.
Gegen elf Uhr am Freitagabend hatten sie ihren Einsatzplan fertig. Zu dieser Zeit hatte Björk sie bereits verlassen, um seinen Platz bei einem Essen des örtlichen Golfvereins einzunehmen.
Kurt Wallander und Rydberg würden den Samstag für einen erneuten Besuch bei Ellen Magnusson in Kristianstad nutzen. Martinsson, Näslund und Hansson würden abwechselnd die Beschattung Erik Magnussons übernehmen und außerdem seine Freundin damit konfrontieren, daß sie als Alibi angegeben worden war. Den Sonntag würden sie mit der weiteren Beschattung und einem neuerlichen Durchgehen der Ermittlungsunterlagen verbringen. Am Montag würde Martinsson, der – ohne daß er ein sonderliches Interesse daran gehabt hätte – zu ihrem Computerexperten auserkoren worden war, dann Erik Magnussons Angelegenheiten untersuchen. Gab es noch andere Schulden? War er früher schon einmal in ungesetzliche Aktivitäten verwickelt gewesen?
Kurt Wallander bat Rydberg, alles noch einmal alleine durchzugehen. Ihm lag daran, daß Rydberg das machte, was sie im allgemeinen einen Kreuzzug nannten. Er sollte versuchen, Ereignisse und Menschen miteinander zu verknüpfen, die anscheinend nichts miteinander zu tun hatten. Gab es vielleicht trotz allem Berührungspunkte, die bisher verborgen geblieben waren? Das genau sollte Rydberg herausfinden.
Rydberg und Wallander verließen gemeinsam das Polizeipräsidium. Kurt Wallander bemerkte plötzlich Rydbergs Erschöpfung und erinnerte sich daran, daß er einen Termin im Krankenhaus gehabt hatte.
»Wie geht es dir eigentlich?« fragte er.
Rydberg zuckte mit den Schultern und murmelte undeutlich eine Antwort.
|289| »Die Beine?« fragte Kurt Wallander.
»Nicht zu ändern«, antwortete Rydberg und machte deutlich, daß er nicht weiter über sein Gebrechen sprechen wollte.
Kurt Wallander fuhr nach Hause und servierte sich selbst ein Glas Whisky. Aber er ließ es unangerührt auf dem Wohnzimmertisch stehen und legte sich ins Bett. Müdigkeit gewann die Oberhand. Er schlief über allen Gedanken, die kreuz und quer durch sein Hirn wirbelten, ein.
In dieser Nacht träumte er von Sten Widen.
Gemeinsam besuchten sie eine Opernaufführung, in der die Sänger in einer ihm unbekannten Sprache sangen.
Kurt Wallander konnte sich später nach dem Aufwachen nicht mehr daran erinnern, welche Oper sie gesehen hatten.
Dagegen erinnerte er sich sofort nach dem Aufwachen am nächsten Tag an etwas, worüber er am Abend zuvor mit Rydberg gesprochen hatte.
Johannes Lövgrens Testament. Das Testament, das nicht existierte.
Rydberg hatte mit dem Erbschaftsverwalter gesprochen, der von den beiden hinterbliebenen Töchtern eingesetzt worden war, einem Anwalt, der oft von den landwirtschaftlichen Verbänden der Umgebung hinzugezogen wurde. Ein Testament existierte nicht. Dies bedeutete, daß die beiden Töchter das gesamte, unerwartet große Vermögen Johannes Lövgrens erben würden.
Konnte Erik Magnusson von Johannes Lövgrens großem Vermögen gewußt haben? Oder war Johannes Lövgren ihm gegenüber genauso
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