Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Verhörs still gewesen. Doch als sie gerade gehen wollten, fragte er, wie oft sie ihren Sohn traf. Ob sie ein gutes Verhältnis zueinander hatten. Kannte sie seine Freundin?
Ihre Antwort war ausweichend.
»Er ist jetzt erwachsen«, antwortete sie. »Er lebt sein eigenes Leben. Aber er ist nett und kommt zu Besuch. Daß er eine Freundin hat, weiß ich selbstverständlich.«
Jetzt lügt sie wieder, dachte Kurt Wallander. Von der Freundin wußte sie nichts.
|295| Sie machten im Wirtshaus in Degerberga halt und aßen. Rydberg schien wieder wach geworden zu sein.
»Dein Verhör war makellos«, meinte er. »Ein Musterbeispiel für die Polizeischule.«
»Aber ich habe gelogen«, sagte Kurt Wallander. »Und das wird nicht gerade als die feinste Art angesehen.«
Während des Essens besprachen sie das weitere Vorgehen. Sie waren sich einig, daß sie zunächst die Ermittlungsergebnisse zu Erik Magnussons Hintergrund abwarten sollten, bevor sie ihn zum Verhör luden.
»Glaubst du, daß er es war?« fragte Rydberg.
»Klar war er es«, antwortete Kurt Wallander. »Allein oder mit einem anderen. Was glaubst du?«
»Ich hoffe, du hast recht.«
Gegen Viertel vor drei waren sie wieder beim Polizeipräsidium in Ystad. Näslund saß in seinem Zimmer und nieste. Er war um zwölf von Hansson abgelöst worden.
Erik Magnusson hatte den Vormittag damit verbracht, sich ein Paar neue Schuhe zu kaufen und einige Lottozettel in einem Tabakwarengeschäft abzuliefern. Dann war er wieder nach Hause zurückgekehrt.
»Ist er auf der Hut?« fragte Kurt Wallander.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Näslund. »Manchmal habe ich das Gefühl. Und dann habe ich wieder das Gefühl, daß ich mir etwas einbilde.«
Rydberg fuhr nach Hause, und Kurt Wallander zog sich in sein Büro zurück.
Er blätterte gedankenverloren in einem neuen Papierstapel, den ihm jemand auf seinen Tisch gelegt hatte.
Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.
Ellen Magnussons Geschichte hatte ihn unruhig gemacht.
Er hielt sich vor Augen, daß er auch nicht allzu weit von ihrer Wirklichkeit entfernt lebte. Sein eigenes verkorkstes Leben.
Wenn das hier vorbei ist, werde ich mir etwas freinehmen, |296| dachte er. Mit den vielen Überstunden müßte ich eine ganze Woche lang weg sein können. Sieben Tage lang werde ich mich mir selber widmen. Sieben Tage wie sieben schwere Jahre. Dann werde ich als neuer Mensch zurückkehren.
Er überlegte, ob er sich auf einer Gesundheitsfarm einquartieren sollte, in der man ihm half, ein paar Kilo abzunehmen. Aber der Gedanke war ihm zuwider. Lieber würde er sein Auto nehmen und gen Süden fahren.
Vielleicht nach Paris oder Amsterdam. Im holländischen Arnheim kannte er einen Polizeibeamten, den er einmal bei einem Seminar über Drogen getroffen hatte. Vielleicht könnte er ihn besuchen?
Erst einmal werden wir den Mord von Lenarp lösen, dachte er. Das machen wir nächste Woche.
Dann kann ich mich immer noch entscheiden, wohin ich fahren will …
Donnerstag, den 25. Januar, wurde Erik Magnusson von der Polizei zum Verhör geholt. Die Verhaftung erfolgte vor dem Haus, in dem er wohnte. Rydberg und Hansson führten sie durch, während Kurt Wallander im Auto saß und zusah. Erik Magnusson folgte ihnen, ohne zu protestieren, zum Streifenwagen. Das Ganze geschah morgens, als er auf dem Weg zur Arbeit war. Weil Kurt Wallander darauf bedacht war, daß die ersten Verhöre mit dem Mann geführt werden konnten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, gab er ihm Gelegenheit, am Arbeitsplatz anzurufen und eine passende Entschuldigung dafür zu nennen, daß er nicht zur Arbeit gekommen war.
Björk, Wallander und Rydberg waren in dem Raum anwesend, in dem Erik Magnusson verhört wurde. Björk und Rydberg hielten sich im Hintergrund, während Wallander seine Fragen stellte.
In den Tagen vor den ersten Verhören war die Polizei in ihrer Auffassung bestärkt worden, daß der Mann der Doppelmörder von Lenarp war. Verschiedene Untersuchungen hatten ergeben, |297| daß Erik Magnusson ein Mann mit erheblichen Schulden war. Mehrere Male war es ihm erst in letzter Sekunde gelungen zu verhindern, daß er wegen nicht eingelöster Spielschulden handgreiflich attackiert wurde. Bei dem Besuch auf Jägersro hatte Hansson beobachtet, daß Magnusson große Summen setzte. Seine finanzielle Lage war katastrophal.
Im Jahr zuvor hatte er eine Zeitlang als Verdächtiger für einen Bankraub die Aufmerksamkeit der Polizei in Eslöv auf sich gezogen. Es war
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