Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Ellen Magnusson.
Genau in diesem Moment begriff Kurt Wallander, daß die Frau, die ihm gegenübersaß, die Geliebte Johannes Lövgrens war, die von ihm ein Kind bekommen hatte.
Kurt Wallander wußte es, ohne zu wissen, woher.
In einem halsbrecherischen Augenblick entschied er sich dafür, sich zur Wahrheit hinzulügen. Wenn ihn nicht alles täuschte, war Ellen Magnusson eine Frau, die sehr wenig Erfahrung mit der Polizei hatte. Sie würde sicherlich annehmen, daß sie die Wahrheit suchen würden, indem sie auch selber die Wahrheit anwandten. Sie war es, die hier lügen würde, nicht die Polizei.
»Frau Magnusson«, sagte Kurt Wallander. »Wir wissen, daß Johannes Lövgren der Vater Ihres Sohnes Erik ist. Es hat keinen Sinn, dies weiter abzuleugnen.«
Sie sah ihn erschreckt an. Das Abwesende in ihrem Blick war plötzlich verschwunden. Jetzt war sie wieder ganz da.
»Das ist nicht wahr«, sagte sie.
Eine Lüge, die um Gnade bittet, dachte Kurt Wallander. Jetzt bricht sie bald zusammen.
»Natürlich ist es wahr«, sagte er. »Wir wissen es, und Sie wissen es. Wenn Johannes Lövgren nicht ermordet worden wäre, dann wäre niemand von uns auf die Idee gekommen, Ihnen diese Fragen zu stellen. Aber so müssen wir all das wissen. Und wenn wir jetzt nichts von Ihnen erfahren, dann werden Sie leider gezwungen sein, all diese Fragen unter Eid einem Gericht zu beantworten.«
Es ging schneller, als er gedacht hatte.
Plötzlich verlor sie die Fassung.
|293| »Warum wollen Sie das alles wissen?« schrie sie. »Ich habe nichts getan. Warum darf man keine privaten Geheimnisse haben?«
»Niemand verbietet Geheimnisse«, sagte Kurt Wallander langsam. »Aber solange Menschen ermordet werden, müssen wir die Täter suchen. Und dann müssen wir Fragen stellen. Und wir müssen Antworten bekommen.«
Rydberg saß auf seinem Stuhl am Fenster. Er beobachtete die Frau mit seinen müden Augen.
Gemeinsam lauschten sie dann ihrer Geschichte. Kurt Wallander erschien sie unsäglich trist. Ihr Leben, das vor ihm ausgebreitet wurde, war genauso trostlos wie die Landschaft im Rauhreif, durch die er an diesem Morgen gefahren war.
Sie war als Tochter eines schon ältlichen Bauernpaars in Yngsjö geboren worden. Sie hatte den elterlichen Hof verlassen und war schließlich Apothekenhelferin geworden. Johannes Lövgren war als Kunde in der Apotheke in ihr Leben getreten. Sie erzählte, daß sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, als er Bikarbonat bei ihr kaufte. Dann war er wiedergekommen und hatte angefangen, ihr den Hof zu machen.
Seine Masche war die vom einsamen Landwirt. Erst als das Kind geboren war, hatte sie erfahren, daß er verheiratet war. Ihre Gefühle waren schicksalsergeben gewesen, niemals haßerfüllt. Ihr Schweigen hatte er sich mit Geld erkauft, das ihr mehrere Male im Jahr ausbezahlt wurde.
Aber der Sohn war bei ihr aufgewachsen. Er war ihr Kind gewesen.
»Was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren, daß Johannes Lövgren ermordet wurde?« fragte Wallander, als sie verstummte.
»Ich glaube an Gott«, sagte sie. »Ich glaube an eine gerechte Rache.«
»Die Rache?«
»Wie viele Menschen hat Johannes betrogen?« fragte sie. |294| »Er betrog mich, seinen Sohn, seine Frau und seine Töchter. Er betrog alle.«
Und jetzt wird sie bald erfahren, daß ihr Sohn ein Mörder ist, dachte Kurt Wallander. Wird sie sich dann vorstellen, daß er ein Erzengel ist, der einen himmlischen Rachebefehl ausgeführt hat? Wird sie das verkraften können?
Er fuhr fort, seine Fragen zu stellen. Rydberg veränderte seine Stellung am Fenster. Aus der Küche hörte man das Schlagen einer Uhr.
Als sie schließlich aufbrachen, hatte Kurt Wallander Antworten auf alle Fragen bekommen, die er gestellt hatte.
Er wußte nun, wer die Geliebte war. Wer der heimliche Sohn. Er wußte, daß sie Anfang Januar darauf gewartet hatte, Geld von Johannes Lövgren zu bekommen. Aber Johannes Lövgren war nie gekommen.
Eine andere Frage hatte allerdings zu einer unerwarteten Antwort geführt.
Ellen Magnusson hatte ihrem Sohn nie etwas von Johannes Lövgrens Geld gegeben. Sie zahlte alles auf ein Sparbuch ein. Erst, wenn sie nicht mehr lebte, sollte er alles erben. Vielleicht hatte sie Angst, daß er es verspielen würde.
Aber Erik Magnusson wußte, daß Johannes Lövgren sein Vater war. In diesem Punkt hatte er gelogen. Und vielleicht wußte er auch, daß Johannes Lövgren, sein Vater, große Einnahmen verbuchen konnte?
Rydberg war während des ganzen
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