Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
ihm jedoch nie etwas nachzuweisen gewesen. Dagegen schien es denkbar, daß Magnusson in Drogenschmuggel verwickelt war. Seine Freundin, die zur Zeit arbeitslos war, war mehrere Male wegen Drogendelikten vorbestraft, einmal auch wegen Scheckbetrugs. Erik Magnusson hatte also große Schulden. Zeitweise aber verfügte er wiederum über verblüffend viel Geld. Sein Arbeitslohn war in diesem Zusammenhang völlig unbedeutend.
Dieser Donnerstagmorgen im Januar würde den endgültigen Durchbruch für die Ermittlungen bringen. Jetzt sollte der Doppelmord von Lenarp aufgeklärt werden. Kurt Wallander war an diesem Morgen früh und mit einer heftigen inneren Spannung aufgewacht.
Am Tag darauf, Freitag, den 26. Januar, begriff er, daß er sich geirrt hatte.
Der Verdacht, daß Erik Magnusson der Schuldige oder zumindest einer der Schuldigen war, fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Die Spur, der sie gefolgt waren, erwies sich als Sackgasse. Am Freitagnachmittag begriffen sie, daß man Magnusson niemals den Doppelmord würde nachweisen können, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er unschuldig war.
Sein Alibi für die Mordnacht war von der Mutter seiner Freundin bestätigt worden, die zu Besuch gewesen war. Ihre Glaubwürdigkeit konnte nicht bezweifelt werden. Sie war eine alte Dame, die nachts schlecht schlief. Erik Magnusson hatte die ganze Nacht über, in der Johannes und Maria Lövgren so |298| brutal ermordet worden waren, geschnarcht. Das Geld, mit dem er seine Schulden bei dem Eisenwarenhändler in Tågarp beglichen hatte, kam aus dem Verkauf eines Autos. Magnusson konnte eine Quittung für einen verkauften Chrysler vorzeigen, und der Käufer, ein Schreiner in Loma, wußte zu berichten, daß er bar bezahlt hatte: in Tausendern und Fünfhundertern.
Auch als man ihn fragte, warum er auf die Frage nach Johannes Lövgren als Vater gelogen hatte, konnte er eine glaubwürdige Antwort geben. Er hatte es seiner Mutter zuliebe getan, weil er glaubte, daß es ihr so lieber sein würde. Als Wallander ihm erzählte, daß Johannes Lövgren ein vermögender Mann gewesen war, hatte er aufrichtig erstaunt ausgesehen.
Zum Schluß blieb nichts mehr übrig.
Als Björk fragte, ob jemand etwas dagegen hatte, daß Erik Magnusson nach Hause geschickt wurde und bis auf weiteres für diesen Fall abgeschrieben werden sollte, hatte niemand etwas einzuwenden. Kurt Wallander fühlte sich vernichtend schuldig, weil er die ganze Ermittlung in eine falsche Richtung gelenkt hatte. Nur Rydberg schien unberührt. Er hatte auch von Anfang an die größten Zweifel gehabt.
Die Ermittlung hatte Schiffbruch erlitten. Alles, was übrigblieb, war das Wrack.
Sie hatten keine andere Wahl, als noch einmal von vorne anzufangen.
Gleichzeitig kam der Schnee.
In der Nacht zum Samstag, den 27. Januar, trieb ein gewaltiger Schneesturm aus Südwest heran. Nach wenigen Stunden war die E 14 blockiert. Sechs Stunden lang schneite es ununterbrochen. Der starke Wind sorgte dafür, daß der Einsatz von Schneepflügen völlig sinnlos war. Genauso schnell, wie sie die Straßen vom Schnee befreiten, sammelte sich der Schnee wieder in neuen Schneewehen.
Vierundzwanzig Stunden lang war die Polizei vollauf damit beschäftigt zu verhindern, daß das Durcheinander sich zum |299| Chaos entwickelte. Dann zog das Unwetter ab, genauso schnell, wie es gekommen war.
Am 30. Januar wurde Kurt Wallander 43 Jahre alt. Er feierte seinen Geburtstag, indem er sich vornahm, endlich seine Eßgewohnheiten zu ändern und wieder mit dem Rauchen anzufangen. Zu seiner großen Freude rief ihn Linda abends an. Sie war gerade in Malmö und hatte sich entschlossen, auf eine Volkshochschule in der Nähe von Stockholm zu gehen. Sie versprach, ihn zu besuchen, bevor sie fuhr.
Kurt Wallander richtete sich seine Tage so ein, daß er seinen Vater mindestens dreimal in der Woche besuchen konnte. Seiner Schwester in Stockholm konnte er in einem Brief mitteilen, daß die neue Haushaltshilfe Wunder bei ihrem Vater bewirkt hatte. Die Verwirrung, die ihn auf seine einsame Nachtwanderung in Richtung Italien geführt hatte, war offenbar abgeklungen. Eine Frau, die regelmäßig zu ihm ins Haus kam, war zu seiner Rettung geworden.
Eines Abends, wenige Tage nach seinem Geburtstag, rief Kurt Wallander Anette Brolin an und schlug vor, ihr Schonen im Winter zu zeigen. Er bat sie nochmals um Entschuldigung für den Abend in ihrer Wohnung. Sie war einverstanden, und am nächsten Sonntag, dem 4. Februar,
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