Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Wallander.
»Warum sollte ich etwas dagegen haben?« erwiderte der Mann und öffnete die Tür.
Die Stute im Stall wieherte, als sie eintraten. Es duftete nach warmem Dung, und Nyström warf mit geübter Hand eine Gabel Heu in die Box.
»Ich miste später aus«, sagte er und strich dem Pferd über die Mähne.
»Warum hielten sie sich ein Pferd?« wollte Wallander wissen.
»Ein leerer Stall ist für einen alten Milchbauern wie ein Leichenschauhaus«, antwortete Nyström. »Es war eine Art Haustier.«
Kurt Wallander dachte, daß er seine Fragen genausogut hier im Stall stellen konnte.
»Sie haben heute nacht Wache gestanden«, sagte er. »Sie haben Angst, und das kann ich gut verstehen. Sie müssen darüber nachgedacht haben, warum gerade diese beiden überfallen wurden. Sie müssen gedacht haben: Warum sie? Warum nicht wir?«
|64| »Sie hatten kein Geld«, sagte Nyström. »Und auch nichts anderes, was sonderlich wertvoll gewesen wäre. Auf jeden Fall ist nichts weg. Das habe ich auch dem Polizisten gesagt, der gestern hier war. Er bat mich darum, einmal in den Zimmern nachzusehen. Das einzige, was vielleicht weggekommen ist, ist eine alte Wanduhr.«
»Vielleicht?«
»Es könnte auch sein, daß eine von den Töchtern sie bekommen hat. Man kann sich ja nicht an alles erinnern.«
»Kein Geld«, sagte Wallander. »Und keine Feinde.«
Plötzlich kam ihm eine Idee.
»Verwahren Sie Geld zu Hause?« fragte er. »Könnte es vielleicht möglich sein, daß sich die Täter ganz einfach im Haus geirrt haben?«
»Was wir besitzen, liegt auf der Bank«, antwortete Nyström. »Und Feinde haben wir auch keine.«
Sie gingen zum Haus zurück und tranken Kaffee. Kurt Wallander sah, daß die Frau rote Augen hatte, als habe sie geweint, während die beiden Männer draußen im Stall waren.
»Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen?« fragte er. »Zum Beispiel Besuch bei Lövgrens, den sie nicht kannten?«
Die Alten sahen sich an und schüttelten dann beide den Kopf.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihnen gesprochen?«
»Vorgestern waren wir zum Kaffeetrinken drüben«, sagte Hanna. »Es war alles wie immer. Wir haben immer zusammen Kaffee getrunken, jeden Tag. Über vierzig Jahre lang.«
»Schienen sie ängstlich zu sein?« fragte Wallander. »Bekümmert?«
»Johannes war erkältet«, erwiderte Hanna. »Aber sonst war alles wie immer.«
Es schien hoffnungslos. Kurt Wallander wußte nicht mehr, was er noch fragen sollte. Jede Antwort, die er bekam, war wie eine weitere Tür, die ihm vor der Nase zugeschlagen wurde.
|65| »Hatten sie ausländische Bekannte?« fragte er.
Der Mann hob erstaunt die Augenbrauen.
»Ausländische Bekannte?«
»Jemanden, der kein Schwede war«, versuchte Wallander zu verdeutlichen.
»Vor ein paar Jahren haben ein paar Dänen an Mittsommer auf ihrem Grundstück gezeltet.«
Kurt Wallander sah auf die Uhr. Fast halb acht. Um acht war er mit Rydberg verabredet, und er wollte nicht zu spät kommen.
»Versuchen Sie noch einmal, über alles nachzudenken«, sagte er. »Alles, was Ihnen einfällt, kann für uns von Bedeutung sein.«
Nyström begleitete ihn bis zum Auto.
»Ich habe einen Waffenschein für die Flinte«, meinte er. »Und ich habe nie auf Sie gezielt. Ich wollte nur erschrecken.«
»Das ist Ihnen gelungen«, antwortete Wallander. »Aber ich glaube, daß es besser ist, wenn Sie nachts schlafen. Die, die das hier getan haben, kommen ganz gewiß nicht zurück.«
»Könnten Sie schlafen?« fragte Nyström. »Könnten Sie schlafen, nachdem man ihre Nachbarn wie unschuldige Tiere abgeschlachtet hat?«
Da Kurt Wallander keine passende Antwort einfiel, sagte er lieber gar nichts.
»Danke für den Kaffee«, setzte er noch rasch hinzu, stieg dann ins Auto und fuhr davon.
Alles geht schief, dachte er. Keine Spur, nichts. Nur Rydbergs komischer Knoten und das Wort Ausländer. Ein altes Paar, ohne Geld unter der Matratze, ohne wertvolle Möbel, wird auf eine Art und Weise umgebracht, die vermuten läßt, daß etwas anderes dahintersteckt als ein gewöhnlicher Raubüberfall. Ein Mord aus Haß oder ein Racheakt.
Es muß noch etwas anderes geben, dachte er. Etwas, das mit dem Gewohnten und Normalen bei diesen beiden Menschen nicht zusammenpaßt.
|66| Wenn das Pferd bloß reden könnte!
Etwas stimmte nicht mit diesem Pferd, das ihn beunruhigte. Etwas, das bisher nur eine vage Ahnung war. Aber als erfahrener Polizist wußte er, daß er dieses Gefühl der Unruhe
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