Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
paar hinreichend verzweifelte Einbrecher vor«, gab Rydberg zurück. »Stell dir vor, daß sie absolut sicher sind, daß Lövgren Geld versteckt hat. Stell dir vor, daß sie hinreichend verzweifelt sind und ein Menschenleben für sie keine Rolle spielt. Dann ist die Folter nicht mehr so abwegig.«
»Wer könnte schon so verzweifelt sein?«
»Du weißt genausogut wie ich, daß es eine ganze Reihe von Drogen gibt, die so abhängig machen, daß Menschen bereit sind, alles nur Erdenkliche zu tun.«
Natürlich wußte Kurt Wallander das. Er hatte das Ansteigen |69| der Gewalt aus nächster Nähe erlebt, und fast immer spukte der Handel mit Rauschgift und die Sucht dabei im Hintergrund. Auch wenn der Polizeidistrikt Ystad noch ausgesprochen selten von den sichtbaren Folgen dieser zunehmenden Gewalt betroffen gewesen war, gab er sich doch nicht der Illusion hin, daß dies nicht alles näher und näher rücken würde.
Es gab keine friedlichen Gegenden mehr. Ein kleines verschlafenes Dorf wie Lenarp war hierfür der beste Beweis.
Er richtete sich in dem unbequemen Sessel auf.
»Was sollen wir tun?« fragte er.
»Du bist hier der Chef«, antwortete Rydberg.
»Ich will deine Meinung hören.«
Rydberg stand auf und ging zum Fenster. Mit einem Finger prüfte er die Erde in einem Blumentopf. Sie war trocken.
»Wenn du wissen willst, was ich denke, dann kannst du es ruhig hören. Aber du darfst dabei nicht vergessen, daß ich mir absolut nicht sicher bin, recht zu haben. Ich glaube nämlich, daß es, egal wie wir uns auch verhalten werden, einen Aufstand geben wird. Aber es wäre vielleicht doch klüger, es ein paar Tage für uns zu behalten. Es gibt immerhin noch einiges, was wir untersuchen können.«
»Was denn?«
»Hatten Lövgrens Bekannte aus dem Ausland?«
»Das habe ich heute morgen gefragt. Möglicherweise kannten sie ein paar Dänen.«
»Da siehst du’s.«
»Ein paar zeltende Dänen werden es wohl kaum gewesen sein.«
»Warum nicht? Wie auch immer, wir müssen es untersuchen. Und es gibt ja auch noch andere Leute außer den Nachbarn, die man fragen kann. Wenn ich dich gestern recht verstanden habe, hast du gesagt, daß die Lövgrens eine große Verwandtschaft hatten.«
Kurt Wallander sah ein, daß Rydberg recht hatte. Es gab tatsächlich fahndungstechnische Gründe, zu verschweigen, daß |70| die Polizei nach einem oder mehreren Menschen ausländischer Herkunft suchte.
»Was wissen wir eigentlich über Ausländer, die in Schweden ein Verbrechen begehen?« fragte er. »Gibt es da Statistiken?«
»Statistiken gibt es zu allem«, antwortete Rydberg. »Einer soll sich an den Computer setzen und sich in die zentralen Straftäterdateien einklinken. Vielleicht finden wir da was.«
Kurt Wallander stand auf. Rydberg sah ihn erstaunt an.
»Willst du denn gar nichts über die Schlinge wissen?« wunderte er sich.
»Die hatte ich jetzt tatsächlich vergessen.«
»Es soll da einen alten Segelmacher in Limhamn geben, der angeblich alles über Knoten und Schlingen weiß. Ich habe voriges Jahr etwas in der Zeitung über ihn gelesen. Ich hab’ gedacht, daß ich mir die Zeit nehme und mal zu ihm hinfahre. Nicht weil ich sicher bin, daß es was bringt. Aber für alle Fälle.«
»Ich möchte, daß du bei der Besprechung dabei bist«, sagte Kurt Wallander. »Danach kannst du von mir aus nach Limhamn fahren.«
Gegen zehn trafen sich alle in Kurt Wallanders Büro.
Die Besprechung dauerte nicht sehr lange. Wallander berichtete, was die tote Frau gesagt hatte, bevor sie starb. Er gab die strikte Anweisung, daß dies fürs erste eine Information war, die nicht weitergegeben werden durfte. Niemand schien Einwände zu haben.
Martinsson wurde an den Computer beordert, um eine Liste der registrierten ausländischen Straftäter zu erstellen. Die Polizisten, die mit der Befragung in Lenarp fortfahren sollten, machten sich auf den Weg. Wallander teilte Svedberg dafür ein, sich besonders um die polnische Familie zu kümmern, die sich vermutlich illegal im Land aufhielt. Ihn interessierte, warum sie in Lenarp wohnten. Viertel vor elf machte sich Rydberg auf den Weg, um den Segelmacher aufzusuchen.
Als Kurt Wallander schließlich allein in seinem Büro war, stand er eine Weile da und betrachtete die Karte, die an der |71| Wand hing. Von woher waren die Mörder gekommen? Welchen Weg hatten sie nach der Tat genommen?
Danach setzte er sich an den Schreibtisch und bat Ebba, ihm die Gespräche durchzustellen, die sie bislang in der
Weitere Kostenlose Bücher