Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
müde. Dabei war es fast halb zwölf gewesen, als er am Abend vorher endlich aus dem Polizeipräsidium hinausgekommen war. Der letzte Anrufer war ein Mann gewesen, der seinen Namen nicht nennen wollte. Er hatte vorgeschlagen, daß die Polizei gemeinsame Sache mit den einheimischen nationalistischen Bewegungen machen und ein für allemal sämtliche Ausländer aus dem Land jagen solle. Einen kurzen Augenblick lang hatte er noch versucht, sich anzuhören, was der anonyme Anrufer sagen wollte. Dann hatte er aufgelegt, die Zentrale angerufen und alle eingehenden Telefonate gestoppt. Er löschte das Licht in seinem Büro, war in den lautlosen Flur hinausgetreten und auf direktem Wege nach Hause gefahren. Als er seine Haustür aufschloß, nahm er sich vor herauszufinden, wer innerhalb der Polizei dafür verantwortlich war, daß diese eine vertrauliche Information nach außen gedrungen war. Eigentlich war das nicht seine Sache. In Konfliktfällen innerhalb der Polizei war es die verdammte Aufgabe des Polizeichefs, einzugreifen. In ein paar Tagen würde Björk aus seinem Winterurlaub zurück |98| sein. Dann konnte der das übernehmen. Die Wahrheit mußte auf jeden Fall herauskommen.
Aber als Kurt Wallander sein erstes Glas Whisky getrunken hatte, sah er ein, daß Björk gar nichts unternehmen würde. Auch wenn jeder einzelne Polizist an seine Schweigepflicht gebunden war, konnte es kaum als eine ungesetzliche Handlung aufgefaßt werden, wenn ein Polizist eine Kontaktperson beim schwedischen Fernsehen anrief und erzählte, was in einer internen Besprechung der Fahndungsgruppe besprochen worden war. Genausowenig würde es möglich sein, Unregelmäßigkeiten nachzuweisen, falls das Fernsehen wirklich für die geheime Information bezahlt hatte. Kurt Wallander fragte sich einen Moment lang, auf welchem Konto die Fernsehanstalt einen solchen Betrag wohl in der Regel verbuchte.
Dann war noch zu bedenken, daß Björk wohl kaum daran interessiert sein würde, mitten in einer Morduntersuchung die Loyalität der Kollegen untereinander zu gefährden.
Beim zweiten Glas Whisky war er dann doch fortgefahren, darüber nachzugrübeln, wer für das Leck verantwortlich sein könnte. Abgesehen von sich selber glaubte er, nur Rydberg mit Sicherheit von jeglicher Schuld freisprechen zu können. Aber warum sollte er bei Rydberg so sicher sein können? Konnte er tiefer in ihn hineinschauen als in die anderen?
Und jetzt hatte der Sturm auch noch den Strom ausfallen lassen, und er saß einsam in der Dunkelheit.
Die Gedanken an das ermordete Paar, an Lars Herdin und an den eigenartigen Knoten in der Schlinge vermischten sich mit Gedanken an Sten Widen und Mona, an Linda und seinen alten Vater. Irgendwo aus der Dunkelheit winkte ihm die große Sinnlosigkeit zu. Ein grinsendes Gesicht, das höhnisch über seine vergeblichen Bemühungen lächelte, sein Leben in den Griff zu bekommen …
Er wachte davon auf, daß der Strom wieder da war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß er über eine Stunde lang geschlafen |99| hatte. Die Schallplatte leierte wieder auf dem Plattenspieler. Er leerte sein Glas und legte sich aufs Bett.
Ich muß mit Mona reden, dachte er. Ich muß mit ihr über alles reden, was geschehen ist. Und ich muß mit meiner Tochter reden. Ich muß meinen Vater besuchen und sehen, was ich für ihn tun kann. Und zwischendurch soll ich dann möglichst auch noch einen Mörder finden …
Er mußte wieder eingeschlafen sein. Er glaubte, in seinem Büro zu sein, als das Telefon klingelte. Noch halb schlafend stolperte er in die Küche und langte nach dem Hörer. Wer konnte ihn bloß um Viertel nach vier morgens anrufen?
Es gelang ihm noch, sich zu wünschen, daß es Mona sei, die ihn anrief, bevor er sich meldete.
Im ersten Moment war ihm, als spräche der Mann am anderen Ende wie Sten Widen.
»Ihr habt jetzt genau drei Tage Zeit, es wiedergutzumachen«, sagte der Mann.
»Wer sind Sie?« fragte Kurt Wallander.
»Es spielt keine Rolle, wer ich bin«, antwortete der Mann. »Ich bin einer der ›Zehntausend Rächer‹.«
»Ich weigere mich, mit jemandem zu sprechen, von dem ich nicht einmal weiß, wie er heißt«, sagte Kurt Wallander, der jetzt hellwach war.
»Legen Sie nicht auf«, antwortete der Mann. »Von jetzt an haben Sie drei Tage Zeit, wiedergutzumachen, daß Sie der Öffentlichkeit ein paar ausländische Verbrecher verschwiegen haben. Drei Tage, nicht mehr.«
»Ich verstehe nicht, wovon Sie eigentlich sprechen«, sagte
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