Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
besser, auf Nummer Sicher zu gehen.«
»Was hältst du von seiner Geschichte?« fragte Hansson.
Kurt Wallander dachte nach, bevor er antwortete.
»Er wirkte überzeugend. Ich hatte nicht den Eindruck, daß er gelogen, sich etwas eingebildet oder phantasiert hat. Ich glaube, er hat einfach die Entdeckung gemacht, daß Johannes Lövgren ein Doppelleben führte. Und ich glaube, er wollte seine Schwester schützen.«
|90| »Kannst du dir vorstellen, daß er irgendwie darin verwickelt ist?«
Kurt Wallander war sich sicher, als er antwortete.
»Lars Herdin hat sie nicht umgebracht. Ich glaube auch nicht, daß er weiß, wer es getan hat. Ich glaube, daß er aus zwei Gründen zu uns gekommen ist. Er will uns helfen, eine oder mehrere Personen zu finden, denen er sowohl danken als auch ins Gesicht spucken kann. Diejenigen, die Johannes ermordet und seiner Meinung nach damit eine gute Tat vollbracht haben. Und diejenigen, die Maria ermordet haben und dafür öffentlich geköpft werden sollten.«
Hansson stand auf.
»Ich sage es Martinsson. Gibt es sonst noch etwas, das ich im Moment für dich tun kann?«
Kurt Wallander sah auf seine Armbanduhr.
»Wir treffen uns in einer Stunde bei mir. Sieh nach, ob du Rydberg erwischen kannst. Er wollte nach Malmö fahren, um dort jemanden zu treffen, der Segel ausbessert.«
Hansson sah ihn verständnislos an.
»Die Schlinge«, sagte Kurt Wallander. »Der Knoten. Du wirst es später begreifen.«
Hansson ging, und Wallander war allein.
Ein Durchbruch, dachte er. In allen Ermittlungen, die erfolgreich abgeschlossen werden, gibt es einen Punkt, an dem wir die Wand durchbrechen. Wir wissen nur nicht so genau, was wir dahinter zu sehen bekommen. Aber irgendwo dort wird sich die Lösung finden.
Er ging zum Fenster und sah in die Dämmerung hinaus. Von den undichten Fensterleisten zog es kalt herein, und an einer schaukelnden Straßenlaterne konnte er erkennen, daß der Wind noch stärker geworden war.
Er dachte an Nyström und seine Frau.
Ein ganzes Leben hatten sie eng mit einem Menschen zusammengewohnt, der überhaupt nicht derjenige war, für den er sich ausgegeben hatte.
|91| Wie würden sie reagieren, wenn sie die Wahrheit erfuhren?
Mit Ungläubigkeit? Bitterkeit? Erstaunen?
Er ging zum Schreibtisch zurück und setzte sich. Das erste Gefühl der Erleichterung, das sich nach einem Durchbruch in der Ermittlung einstellte, nahm in der Regel sehr schnell wieder ab. Nun gab es ein denkbares Motiv, das häufigste von allen: Geld. Aber noch immer gab es keinen sichtbaren Fingerzeig, der hinsichtlich der Täter in eine bestimmte Richtung deutete.
Es gab keinen Mörder.
Kurt Wallander warf wieder einen Blick auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, würde er es schaffen, im Imbiß am Bahnhof noch etwas zu essen, bevor die Besprechung anfing. Auch dieser Tag ging vorüber, ohne daß er seine Eßgewohnheiten verändern würde.
Er wollte sich gerade die Jacke anziehen, als das Telefon klingelte.
Gleichzeitig klopfte es an der Tür.
Die Jacke landete auf dem Boden, als er nach dem Telefonhörer griff und »Herein!« rief.
Es war Rydberg, der in der Tür stand. In einer Hand hielt er eine große Plastiktüte.
Am Telefon hörte er Ebbas Stimme.
»Die Leute vom Fernsehen wollen dich unbedingt sprechen«, sagte sie.
Er entschied schnell, erst einmal mit Rydberg zu reden, bevor er wieder mit dem Fernsehen zu tun hatte.
»Sag, daß ich eine Besprechung habe und erst in einer halben Stunde zur Verfügung stehe«, erwiderte er.
»Sicher?«
»Was?«
»Daß du in einer halben Stunde mit ihnen sprichst? Das schwedische Fernsehen wartet nicht gern. Die setzen voraus, daß alle vor ihnen auf die Knie fallen, wenn sie von sich hören lassen.«
|92| »Das mit dem Kniefall kannst du vergessen. Aber sprechen kann ich in einer halben Stunde mit ihnen.«
Er legte den Hörer auf.
Rydberg hatte sich auf den Stuhl am Fenster gesetzt. Er versuchte gerade, sich mit einer Papierserviette die Haare zu trocknen.
»Ich habe gute Neuigkeiten«, sagte Kurt Wallander.
Rydberg trocknete weiter seine Haare.
»Ich glaube, wir haben ein Motiv. Geld. Und ich glaube, daß die Mörder unter den Menschen zu suchen sind, die sich in Lövgrens Nähe aufgehalten haben.«
Rydberg warf die nasse Serviette in den Papierkorb.
»Ich habe einen Scheißtag gehabt. Gute Neuigkeiten sind sehr willkommen.«
Kurt Wallander brauchte fünf Minuten, um die Begegnung mit dem Landwirt Lars Herdin wiederzugeben. Rydberg
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