Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
wehrte die Frage mit einer kurzen Antwort ab.
»Ich weiß noch nicht so recht. Für einen Stockholmer ist es vielleicht ein wenig schwierig, sich an die schonische Schwerfälligkeit zu gewöhnen.«
»Schwerfälligkeit?«
»Du bist immerhin eine halbe Stunde zu spät.«
Kurt Wallander merkte, daß er wütend wurde. Wollte sie ihn provozieren? Begriff sie nicht, daß die Besprechung einer Fahndungsgruppe länger dauern konnte als ursprünglich |110| geplant? Waren schon deshalb alle, die aus Schonen kamen, für sie von vornherein träge?
»Ich glaube nicht, daß wir Schonener fauler sind als andere«, sagte er. »Es sind ja wohl auch nicht alle Stockholmer arrogant?«
»Wie bitte?«
»Schon gut.«
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Er merkte, daß er Probleme hatte, ihr in die Augen zu sehen.
»Vielleicht solltest du mir jetzt erst mal einen Überblick geben«, sagte sie.
Kurt Wallander versuchte, sich so präzise wie möglich auszudrücken. Er merkte, daß er, ohne es eigentlich zu wollen, eine Verteidigungshaltung eingenommen hatte.
Die undichte Stelle bei seinen Leuten erwähnte er mit keinem Wort.
Sie unterbrach ihn mit ein paar kurzen Fragen, auf die er knapp antwortete. Er begriff, daß sie trotz ihres Alters schon Berufserfahrung hatte.
»Wir müssen Zugang zu Lövgrens Bankkonten haben«, sagte er. »Außerdem hatte er zwei Schließfächer, die wir gerne öffnen wollen.«
Sie unterzeichnete die Papiere, die er dafür benötigte.
»Muß das nicht von einem Richter begutachtet werden?« fragte Kurt Wallander, als sie ihm die Papiere über den Tisch hinweg zuschob.
»Das erledigen wir nachträglich«, meinte sie. »Ansonsten würde ich mich freuen, wenn ich laufend Kopien vom gesamten Ermittlungsmaterial bekommen könnte.«
Er nickte und machte sich bereit zu gehen.
»Was ist eigentlich mit dem, was in den Zeitungen gestanden hat«, fragte sie, »über Ausländer, die in die Sache verwickelt sein sollen?«
»Gerüchte«, antwortete Kurt Wallander. »Du weißt schon, wie das ist.«
|111| »So, weiß ich das?« fragte sie.
Als er schließlich aus ihrem Büro herauskam, merkte er, daß er verschwitzt war.
Was für eine Frau, dachte er. Warum zum Teufel wird eine wie die bloß Staatsanwältin? Damit sie ihr Leben der Aufgabe widmet, kleine Gauner hinter Gitter zu bringen und für Ordnung auf den Straßen zu sorgen?
Verwirrt stand er in der großen Empfangshalle des Polizeipräsidiums, ohne sich entscheiden zu können, was er nun tun sollte.
Essen, beschloß er. Wenn ich jetzt nicht esse, komme ich den ganzen Tag nicht mehr dazu. Die Pressemitteilung kann ich ja schreiben, während ich esse.
Als er aus dem Polizeipräsidium hinaustrat, wäre er fast umgeweht worden.
Der Sturm war nicht abgeflaut.
Er dachte, daß es das beste sei, nach Hause zu fahren und sich einen Salat zu machen. Obwohl er bisher kaum etwas gegessen hatte, fühlte sich sein Bauch schwer und aufgebläht an. Aber dann gab er doch der Versuchung nach, im Restaurant »Zum Trompeter« unten am Marktplatz zu essen. Auch an diesem Tag schaffte er es also nicht, seine Eßgewohnheiten ernsthaft zu ändern.
Um Viertel vor eins war er wieder im Polizeipräsidium. Weil er auch diesmal viel zu schnell gegessen hatte, plagten ihn Magenkrämpfe, und er floh auf eine Toilette. Als sein Magen sich endlich beruhigt hatte, lieferte er die Pressemitteilung bei einer der Sekretärinnen ab und begab sich dann zu Näslunds Büro.
»Ich kann Herdin nicht erreichen«, begrüßte ihn Näslund. »Er ist auf einer Art Winterwanderung des Naturschutzbundes draußen im Fyletal.«
»Dann werden wir uns wohl dorthin begeben müssen, um ihn zu suchen«, sagte Kurt Wallander.
»Ich habe mir gedacht, daß ich das gut alleine erledigen |112| kann. Dann kannst du währenddessen in den Schließfächern wühlen. Wenn wirklich alles so geheim ist, was diese Frau und ihr Kind angeht, dann hat er da vielleicht etwas aufbewahrt. So sparen wir Zeit, dachte ich.«
Kurt Wallander nickte. Näslund hatte natürlich recht. Er stampfte drauflos wie eine ungeduldige Lokomotive.
»So machen wir’s«, sagte er. »Wenn wir es heute nicht mehr schaffen, nach Kristianstad zu fahren, erledigen wir das eben morgen früh.«
Bevor er sich ins Auto setzte, um zur Bank zu fahren, versuchte er noch einmal, Sten Widen zu erreichen. Wie schon beim ersten Mal nahm niemand ab.
Er gab den Zettel mit der Telefonnummer Ebba in der Zentrale.
»Sieh zu, ob du mehr Glück hast als
Weitere Kostenlose Bücher