Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Besuchs über. Wallander gab eine detaillierte Zusammenfassung des Falles.
»Wir sollen sie also für dich suchen«, sagte Göran Boman, als er fertig war.
»Das wäre nicht schlecht.«
Bisher hatte Näslund wortlos dabeigesessen.
»Ich habe da über eine Sache nachgedacht«, sagte er. »Wenn Johannes Lövgren mit dieser Frau ein Kind hat und wir davon ausgehen, daß es in dieser Stadt geboren wurde, ist es doch sicherlich beim Einwohnermeldeamt verzeichnet. Johannes Lövgren müßte ja wohl als Vater angegeben worden sein?«
Kurt Wallander nickte.
|141| »Ja«, sagte er. »Außerdem wissen wir, wann das Kind ungefähr geboren wurde. Wir können uns auf eine Zehnjahresperiode konzentrieren, ungefähr zwischen 1947 und 1957, wenn Lars Herdins Geschichte stimmt. Und davon bin ich überzeugt.«
»Wie viele Kinder werden in zehn Jahren in Kristianstad geboren?« meinte Göran Boman. »Bevor wir Computer hatten, hätte es ganz schön lange gedauert, das durchzugehen.«
»Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß Johannes Lövgren sich als ›Vater unbekannt‹ hat eintragen lassen«, fügte Kurt Wallander hinzu. »Aber dann müssen wir auf diese Fälle eben besonders achten.«
»Warum fahndest du nicht nach der Frau?« fragte Göran Boman. »Bitte sie doch einfach, sich zu melden.«
»Weil ich mir ziemlich sicher bin, daß sie das nicht tut«, antwortete Kurt Wallander. »Ich habe so ein Gefühl. Nicht besonders polizeimäßig vielleicht. Aber ich will es lieber zuerst auf diesem Weg versuchen.«
»Wir werden sie schon finden«, versicherte Göran Boman. »Wir leben in einer Gesellschaft und einer Zeit, in der es fast unmöglich ist zu verschwinden. Wenn man nicht auf so geschickte Art und Weise Selbstmord begeht, daß der Körper sich in Luft auflöst. Einen solchen Fall hatten wir im letzten Sommer. Ein Mann, der alles satt hatte. Seine Frau meldete ihn als vermißt. Sein Boot war verschwunden. Wir haben ihn nicht gefunden. Und ich glaube auch nicht, daß wir ihn jemals finden werden. Ich vermute, daß er aufs Meer hinausgefahren ist und sich selbst mitsamt dem Boot versenkt hat. Aber wenn es diese Frau und das Kind gibt, dann finden wir sie. Ich werde sofort einen Mann darauf ansetzen.«
Kurt Wallander merkte, daß er anfing zu schwitzen.
Sein Hals brannte.
Am liebsten wäre er sitzen geblieben und hätte in aller Ruhe mit Göran Boman den Doppelmord durchgesprochen. Er hatte das Gefühl, daß Boman ein guter Polizist war. Seine Meinung |142| zu dem Fall könnte wertvoll sein. Aber nun fühlte er sich plötzlich zu müde.
Sie beendeten das Gespräch. Göran Boman begleitete sie zum Auto.
»Wir finden sie«, beteuerte er noch einmal.
»Dann treffen wir uns mal abends«, sagte Kurt Wallander. »In aller Ruhe. Und trinken Whisky.« Göran Boman nickte.
»Vielleicht haben wir noch so einen sinnlosen Fortbildungstag«, meinte er zum Abschied.
Der Schneeregen hatte nicht aufgehört. Kurt Wallander spürte, daß er nasse Füße bekam. Er kroch auf den Rücksitz und kauerte sich in einer Ecke zusammen. Er schlief bald ein und wachte erst auf, als Näslund vor dem Polizeipräsidium in Ystad bremste. Er hatte Fieber und fühlte sich elend. Obwohl er wußte, daß er lieber nach Hause fahren und sich ins Bett legen sollte, konnte er es nicht lassen, sich einen Überblick zu verschaffen über das, was tagsüber passiert war. Außerdem wollte er wissen, zu welchem Resultat Rydberg mit den Schutzmaßnahmen gekommen war.
Sein Tisch war voller Telefonzettel. Unter anderem hatte Anette Brolin angerufen. Und sein Vater. Linda nicht. Auch Sten Widen nicht. Er blätterte die Zettel durch und legte alle, außer den von Anette Brolin und seinem Vater, zur Seite. Dann rief er Martinsson an.
»Bingo«, sagte Martinsson. »Ich glaube, wir haben das Auto gefunden. Ein Auto, auf das die Beschreibung paßt, ist in der letzten Woche von ›Avis‹ in Göteborg ausgeliehen worden. Es ist aber nicht, wie vereinbart, zurückgebracht worden. Und noch etwas ist merkwürdig.«
»Was?«
»Das Auto ist von einer Frau ausgeliehen worden.«
»Was ist daran so merkwürdig?«
»Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß eine Frau den Doppelmord begangen hat.«
|143| »Jetzt denkst du falsch. Wir brauchen das Auto. Und den Fahrer. Ob Frau oder nicht. Dann müssen wir sehen, ob sie überhaupt etwas mit der ganzen Sache zu tun haben. Jemanden aus einer Ermittlung streichen zu können ist genauso wichtig wie jemanden festzunehmen. Aber
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