Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
geführt hatten, aus denen sie nicht mehr herauskamen und die im schlimmsten Fall ad acta gelegt wurden.
Geduld, dachte er, Geduld …
Es war fast zehn. Noch einmal war er kurz davor, Anette Brolin anzurufen. Aber er ließ es bleiben. Er wußte wirklich nicht, was er sagen sollte. Und vielleicht würde ihr Mann am Apparat sein.
Er setzte sich aufs Sofa und stellte wieder den Fernseher an.
|146| Zu seiner großen Verwunderung starrte er in sein eigenes Gesicht. Im Hintergrund war die monotone Stimme einer Reporterin zu hören. Der Beitrag handelte von dem unverantwortlich geringen Interesse, das Wallander und die gesamte Ystader Polizei der Sicherheitsgarantie für die unterschiedlichen Unterkünfte für Asylbewerber entgegenbrachten.
Sein Gesicht verschwand und wurde von dem einer Frau ersetzt, die, vor einem großen Bürogebäude stehend, ein Interview gab. Als ihr Name eingeblendet wurde, erkannte er sie wieder. Es war die Chefin der Einwanderungsbehörde, mit der er am selben Tag telefoniert hatte.
Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß sich hinter dem Desinteresse der Polizei rassistische Tendenzen verbergen, erklärte sie.
Bittere Wut stieg in ihm hoch.
Blöde Kuh, dachte er. Was du sagst, ist eine glatte Lüge. Und warum haben diese verdammten Reporter keinen Kontakt zu mir aufgenommen? Ich hätte ihnen Rydbergs Bewachungsplan zeigen können.
Rassisten? Was meinte sie eigentlich damit? Seine Aufregung vermischte sich mit der Scham darüber, ungerechterweise öffentlich angeprangert worden zu sein.
In dem Moment klingelte das Telefon. Zuerst wollte er nicht antworten. Aber dann ging er doch in den Flur und riß den Hörer an sich.
Es war dieselbe Stimme wie beim erstenmal. Etwas heiser, verstellt. Wallander nahm an, daß der Mann ein Taschentuch über den Hörer hielt.
»Wir warten auf Resultate«, sagte der Mann.
»Leck mich am Arsch!« brüllte Kurt Wallander.
»Spätestens am Freitag«, fuhr der Mann fort.
»Habt ihr Schweine letzte Nacht den Brand gelegt?« schrie er in den Hörer.
»Spätestens am Freitag«, wiederholte der Mann ungerührt. »Spätestens am Freitag.«
|147| Das Gespräch wurde unterbrochen.
Kurt Wallander fühlte sich auf einmal nicht mehr wohl in seiner Haut. Er konnte die bösen Vorahnungen, die er hatte, nicht vertreiben. Es war wie ein Schmerz, der sich langsam im ganzen Körper ausbreitete.
Jetzt hast du Angst, dachte er. Jetzt hat Kurt Wallander Angst.
Er ging in die Küche zurück, stellte sich ans Fenster und sah auf die Straße.
Plötzlich merkte er, daß es windstill geworden war. Die Straßenlaterne bewegte sich nicht.
Irgend etwas würde passieren, davon war er überzeugt.
Aber was? Und wo?
|148| 8
Am nächsten Morgen holte er seinen besten Anzug aus dem Schrank.
Voller Unmut betrachtete er einen Fleck auf dem einen Rockärmel.
Ebba, dachte er. Das ist eine Aufgabe, die wie geschaffen für sie ist. Wenn sie erst einmal hört, daß ich Mona treffen werde, wird sie alles daransetzen, diesen Fleck wegzubekommen. Ebba ist immerhin eine Frau, die findet, daß die Zahl der Scheidungen eine weitaus größere Bedrohung für unser Land darstellt, als die ständig steigende und brutaler werdende Form der Kriminalität …
Viertel nach sieben legte er den Anzug auf den Rücksitz und machte sich auf den Weg. Eine dichte Wolkendecke hing über der Stadt.
Ob das jetzt der Schnee ist? fragte er sich. Der Schnee, den ich auf gar keinen Fall haben will.
Langsam fuhr er in östlicher Richtung, durch Sandskogen, an dem verlassenen Golfplatz vorbei und dann in Richtung Kåseberga.
Zum erstenmal seit einigen Tagen fühlte er sich ausgeschlafen. Er hatte neun Stunden ununterbrochen geschlafen. Die Beule an seiner Stirn ging langsam zurück, und die Brandwunde am Arm schmerzte auch nicht mehr.
Systematisch ging er noch einmal die Übersicht durch, die er am Abend zuvor aufgestellt hatte. Das Entscheidende war jetzt, Johannes Lövgrens Geliebte zu finden. Und den Sohn. Irgendwo in den Kreisen, in denen sich diese Menschen bewegten, mußten die Täter zu finden sein. Daß der Doppelmord mit |149| den verschwundenen 27.000 Kronen und vielleicht auch mit Johannes Lövgrens übrigen Einkünften zusammenhing, war völlig klar. Jemand, der alles kannte, der Bescheid wußte und der sich dann auch noch die Zeit genommen hatte, das Pferd zu füttern, bevor er verschwand. Jemand oder mehrere, die Johannes Lövgrens Gewohnheiten kannten.
Nur der in Göteborg
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