Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Wallander. »Die von der Wirklichkeit keine Ahnung hat. Holst du uns einen Kaffee?«
Rydberg reichte die Protokolle der Gespräche rein, die er und Svedberg mit Lövgrens Töchtern geführt hatten.
Kurt Wallander gab ihm kurz den Inhalt des Telefongesprächs wieder.
»Die Einwanderungsministerin ruft sicher bald an und äußert ihre Besorgnis«, meinte Rydberg und lachte gehässig.
»Mit der darfst du dann reden«, sagte Kurt Wallander. »Ich werde versuchen, bis vier Uhr aus Kristianstad zurück zu sein.«
Als Näslund mit den zwei Kaffeetassen zurückkam, hatte er keine Lust mehr auf Kaffee. Er hatte das Bedürfnis, aus dem Haus zu kommen. Der Verband spannte, und er hatte Kopfschmerzen. Eine Autofahrt würde ihm vielleicht guttun.
|136| »Du kannst im Auto erzählen«, sagte er und schob den Kaffee zur Seite.
Näslund wirkte unschlüssig.
»Ich weiß wirklich nicht, wohin wir eigentlich fahren sollen. Lars Herdin wußte, im Gegensatz zu Lövgrens Geldgeschäften, über die er genau informiert zu sein schien, weit weniger über die Identität der Geliebten.«
»Irgend etwas wird er doch wohl gewußt haben?«
»Ich habe ihn regelrecht ausgequetscht«, sagte Näslund. »Ich bin fest davon überzeugt, daß er die Wahrheit gesagt hat. Das einzige, was er mit Sicherheit gewußt hat, war, daß sie existiert.«
»Woher hat er das gewußt?«
»Als er einmal zufällig in Kristianstad war, hat er Lövgren und die Frau zusammen auf der Straße gesehen.«
»Wann war das?«
Näslund blätterte in seinen Aufzeichnungen.
»Vor elf Jahren.«
Kurt Wallander nahm nun doch einen Schluck Kaffee.
»Da stimmt doch was nicht«, sagte er. »Er muß mehr wissen, viel mehr. Wie kann er sich sonst so sicher sein, daß das Kind existiert? Woher weiß er von den Geldbeträgen? Hast du ihn nicht unter Druck gesetzt?«
»Er hat behauptet, daß ihm jemand geschrieben und ihn in einem Brief über die Geschichte aufgeklärt habe.«
»Wer hat geschrieben?«
»Das wollte er nicht sagen.«
Kurt Wallander dachte nach.
»Wir fahren trotzdem nach Kristianstad«, entschied er. »Die Kollegen dort müssen uns helfen. Danach werde ich mir Lars Herdin persönlich vorknöpfen.«
Sie nahmen einen Streifenwagen. Kurt Wallander nahm auf dem Rücksitz Platz und ließ Näslund fahren. Als sie aus der Stadt herausgekommen waren, merkte Kurt Wallander, daß Näslund viel zu schnell fuhr.
|137| »Wir haben keinen Einsatz«, meinte Kurt Wallander. »Fahr langsam. Ich will mir Unterlagen durchlesen und nachdenken.«
Näslund fuhr langsamer.
Die Landschaft war grau und diesig. Kurt Wallander starrte in die trostlose Einöde hinaus. Während er sich im schonischen Frühling und Sommer zu Hause fühlte, so fühlte er sich in der kargen Stille von Herbst und Winter wie ein Fremder.
Er lehnte sich zurück und schloß die Augen. Ihm tat alles weh, und der Arm brannte. Außerdem spürte er, daß er Herzklopfen hatte.
Geschiedene Männer sterben an Herzanfällen, dachte er. Wir essen zu fett und werden von unserer Einsamkeit geplagt. Oder wir stürzen uns in neue Beziehungen, und am Ende macht das Herz nicht mehr mit.
Der Gedanke an Mona machte ihn rasend und gleichzeitig traurig.
Er öffnete die Augen und sah wieder in die schonische Landschaft hinaus.
Dann las er die Protokolle der Gespräche, die die Polizei mit Lövgrens Töchtern geführt hatte.
Er fand darin nichts, was sie irgendwie weiterbrachte. Keine Feinde, keine aufgestauten Konflikte, kein Geld.
Johannes Lövgren hatte auch seinen Töchtern nichts von seinem Vermögen erzählt. Kurt Wallander versuchte, sich den Mann vorzustellen. Wie war er gewesen? Was hatte ihn angetrieben? Was hatte er im Falle seines Todes mit all dem Geld vorgehabt?
Bei diesem Gedanken stutzte er.
Es mußte doch ein Testament aufzutreiben sein.
Aber wenn es in keinem der Bankschließfächer war, wo sollte es dann sein? Hatte der Ermordete vielleicht noch ein anderes Bankschließfach?
»Wie viele Banken gibt es in Ystad?« fragte er Näslund.
Näslund kannte sich in lokalen Dingen gut aus.
|138| »An die zehn«, antwortete er.
»Morgen untersuchst du die, in denen du bisher noch nicht gewesen bist. Hatte Johannes Lövgren noch mehr Bankschließfächer? Außerdem will ich wissen, wie er dahin und wieder zurück nach Lenarp gekommen ist. Taxis, Busse, alles.«
Näslund nickte.
»Er könnte den Schulbus genommen haben«, meinte er.
»Jemand muß ihn doch gesehen haben.«
Sie fuhren über Tomelilla. Sie
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