Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
treffen«, schlug Kurt Wallander vor. »Das liegt auf halbem Weg.«
»Wie wäre es denn mit dem Hotel Svea in Simrishamn um neun«, sagte Göran Boman. »Dann können wir den Tag mit einer Tasse Kaffee beginnen.«
|157| »Klingt gut. Also dann, und noch einmal vielen Dank für die Hilfe.«
Also dann, dachte Kurt Wallander, als er den Hörer aufgelegt hatte. Jetzt geht es erst richtig los.
Dann schrieb er den Brief an das Fernsehen. Er verzichtete nicht auf deutliche Worte und beschloß, Kopien an die staatliche Einwanderungsbehörde, die zuständige Ministerin, den Bezirkspolizeichef und den Reichspolizeichef zu schicken.
Im Flur stehend las Rydberg sich durch, was er geschrieben hatte.
»Gut«, sagte er. »Aber glaube ja nicht, daß sie das so bringen. Journalisten, und besonders die vom Fernsehen, irren sich in diesem Land nie.«
Er brachte den Brief ins Schreibzimmer und ging in die Kantine, um einen Kaffee zu trinken. Er war noch nicht dazu gekommen, an Essen zu denken. Es war fast eins, und er beschloß, die ganzen Telefonzettel durchzusehen, bevor er zum Essen ging.
Am Abend zuvor hatte er sich niedergeschlagen gefühlt, als er den anonymen Anruf bekommen hatte, aber jetzt war er den bösen Vorahnungen entgegengetreten. Falls etwas geschah, war die Polizei darauf vorbereitet.
Er wählte Sten Widens Nummer. Aber bei den ersten Freizeichen legte er hastig wieder auf. Sten Widen konnte warten. Sie hatten noch genug Zeit, sich damit zu vergnügen, zu ermitteln, wie lange ein Pferd dazu brauchte, eine Fuhre Heu zu fressen.
Statt dessen wählte er die Nummer der Staatsanwaltschaft.
Das Mädchen in der Zentrale sagte ihm, daß Anette Brolin im Haus war.
Er stand auf und ging in den anderen Teil des Polizeipräsidiums. Genau in dem Moment, in dem er die Hand hob, um an die Tür zu klopfen, wurde sie geöffnet.
Sie trug einen Mantel.
»Ich wollte gerade zu Mittag essen«, sagte sie.
|158| »Wollen wir zusammen essen?«
Sie schien einen Augenblick nachzudenken. Dann lächelte sie schnell.
»Warum nicht?«
Kurt Wallander schlug das »Continental« vor. Sie bekamen einen Tisch mit Blick auf den Bahnhof und bestellten beide Räucherlachs.
»Ich habe dich gestern in den Nachrichten gesehen«, meinte Anette Brolin. »Wie können die nur Reportagen bringen, die so unvollständig und voller Unterstellungen sind?«
Wallander, der schon darauf gefaßt war, kritisiert zu werden, entspannte sich wieder.
»Journalisten betrachten Polizisten grundsätzlich als dankbare Opfer«, meinte er. »Wir werden immer kritisiert, entweder tun wir ihnen zuwenig oder zuviel. Und sie verstehen auch nicht, daß wir manchmal gezwungen sind, Informationen zurückzuhalten, die mit den Ermittlungen zu tun haben.«
Ohne weiter darüber nachzudenken, erzählte er dann von der undichten Stelle. Wie sehr es ihn getroffen hatte, daß Informationen von einer Fahndungsbesprechung auf direktem Weg beim Fernsehen gelandet waren.
Er merkte, daß sie ihm wirklich zuhörte. Plötzlich meinte er, einen anderen Menschen hinter der Rolle der Staatsanwältin und den geschmackvollen Kleidern entdecken zu können.
Nach dem Essen bestellten sie Kaffee.
»Ist deine Familie mit hierhergezogen?« fragte er.
»Mein Mann ist in Stockholm geblieben«, antwortete sie. »Und für die Kinder wäre es auch nicht gut gewesen, wegen einem Jahr die Schule zu wechseln.«
Kurt Wallander merkte, daß er enttäuscht war.
Irgendwie hatte er gehofft, daß der Ehering trotz allem nichts zu bedeuten hatte.
Der Kellner brachte die Rechnung, und Kurt Wallander wollte sie nehmen, um zu bezahlen.
»Wir teilen«, sagte sie.
|159| Sie bestellten noch einen Kaffee.
»Erzähl mir etwas über diese Stadt«, sagte sie. »Ich habe mir eine Reihe von Fällen aus den letzten Jahren angeschaut. Es gibt große Unterschiede im Vergleich zu Stockholm.«
»Sie werden kleiner«, erwiderte er. »Bald werden sich die ländlichen Gegenden Schwedens zu einem einzigen zusammenhängenden Vorort der großen Städte entwickelt haben. Vor zwanzig Jahren gab es hier nirgends Drogen. Vor zehn Jahren fing es in Städten wie Ystad und Simrishamn an. Aber wir hatten die Lage gewissermaßen noch unter Kontrolle. Heute gibt es hier überall Drogen. Wenn ich an einem dieser schönen, alten Höfe hier vorbeifahre, denke ich manchmal: Vielleicht verbirgt sich dort eine gewaltige Amphetaminfabrik.«
»Gewalttaten sind seltener«, sagte sie. »Und sie sind auch nicht so schwerwiegender
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