Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Natur.«
»Das kommt noch«, sagte er. »
Leider
sollte ich wohl sagen. Aber die Unterschiede zwischen den Großstädten und dem Land werden bald völlig verwischt sein. In Malmö gibt es längst die umfassend organisierte Kriminalität. Die offene Grenze nach Dänemark mit den vielen Fähren ist das reinste Zuckerschlecken für den Mob. Wir haben jemanden bei der Kriminalpolizei, der vor einigen Jahren aus Stockholm hierhergezogen ist. Er heißt Svedberg. Er ist hierhergezogen, weil er es in Stockholm nicht mehr ausgehalten hat. Vor ein paar Tagen hat er mir erzählt, daß er sich überlegt, wieder nach Stockholm zu ziehen.«
»Trotzdem gibt es hier noch so etwas wie Ruhe«, sagte sie nachdenklich. »Etwas, das in Stockholm völlig verschwunden ist.«
Sie verließen das »Continental«. Kurt Wallander hatte seinen Wagen auf der Stickstraße direkt nebenan geparkt.
»Darfst du hier überhaupt parken?« fragte sie.
»Nein«, antwortete er. »Wenn ich einen Strafzettel bekomme, bezahle ich ihn auch meist. Aber es wäre vielleicht eine |160| interessante Erfahrung, es einmal nicht zu tun und dafür angeklagt zu werden.«
Sie fuhren zum Polizeipräsidium zurück.
»Wir könnten einmal zusammen zu Abend essen«, schlug er vor. »Ich könnte dir auch die Gegend ein wenig zeigen.«
»Gerne«, sagte sie.
»Wie oft fährst du nach Hause?« fragte er.
»Alle vierzehn Tage.«
»Und dein Mann? Die Kinder?«
»Er kommt, sooft er Zeit hat. Und die Kinder, wenn sie Lust haben.«
Ich liebe dich, dachte Kurt Wallander.
Ich werde heute abend Mona treffen und ihr sagen, daß ich eine andere Frau liebe.
Sie trennten sich in der Eingangshalle des Polizeipräsidiums.
»Am Montag werde ich dir über unsere Fortschritte Bericht erstatten«, sagte Kurt Wallander. »Wir haben jetzt eine Reihe von Spuren, die wir verfolgen.«
»Sind Verhaftungen geplant?«
»Nein, noch nicht. Aber die Ermittlungen in den Banken haben zu einigen Resultaten geführt.«
Sie nickte.
»Am besten vor zehn am Montag«, sagte sie. »Den Rest des Tages habe ich Haftvorführungen und Verhandlungen.«
Sie machten neun Uhr aus.
Kurt Wallander blickte ihr nach, als sie im Gang verschwand.
Er fühlte sich eigentümlich gut gelaunt, als er in sein Zimmer zurückkehrte.
Anette Brolin, dachte er. Was kann nicht alles geschehen in einer Welt, von der es heißt, daß alles in ihr möglich ist?
Den restlichen Tag über widmete er sich verschiedenen Verhörprotokollen, bei denen er bislang nur dazu gekommen war, sie durchzublättern. Der endgültige Obduktionsbericht war |161| auch gekommen. Wieder schockierte ihn die besinnungslose Gewalt, die den beiden Alten zugefügt worden war. Er las die Zusammenfassungen der Gespräche mit den beiden Töchtern und die Berichte über alles, was bei den Befragungen in Lenarp herausgekommen war.
Die Äußerungen waren einhellig und ergänzten sich gegenseitig.
Niemand hatte geahnt, daß Johannes Lövgren eine weitaus vielschichtigere Person gewesen war, als er nach außen hin gezeigt hatte. Der einfache Landwirt erwies sich als verdeckte Doppelnatur.
Während des Krieges, im Herbst 1943, war er wegen Körperverletzung vor Gericht gestellt worden. Aber man hatte ihn freigesprochen. Jemand hatte eine Kopie der Ermittlungen aufgetrieben, und er las sie aufmerksam durch. Aber ein ausreichendes Rachemotiv konnte er nicht entdecken. Es schien sich mehr um einen ganz normalen Streit gehandelt zu haben, der im Gemeindehaus von Erikslund schließlich zu einem Handgemenge geführt hatte.
Um halb vier kam Ebba mit seinem gereinigten Anzug zu ihm herein.
»Du bist ein Engel«, sagte er.
»Ich hoffe, daß es ein richtig schöner Abend für dich wird«, sagte sie und lächelte.
Kurt Wallander spürte einen Kloß im Hals. Sie hatte wirklich gemeint, was sie gesagt hatte.
Bis um fünf füllte er dann noch einen Lottozettel aus, bestellte einen Besichtigungstermin beim TÜV und ging in Gedanken schon einmal die wichtigen Gespräche durch, die ihn am nächsten Tag erwarteten. Dann schrieb er sich selbst zur Erinnerung auf einen Zettel, daß er einen Bericht vorbereiten mußte, bevor Björk wieder zurückkam.
Drei Minuten nach fünf steckte Näslund den Kopf zur Tür hinein.
»Du bist noch da?« sagte er. »Ich dachte, du wärst schon weg.«
|162| »Wie kommst du darauf?«
»Ebba hat es gesagt.«
Ebba hält ein Auge auf mich, dachte er lächelnd. Morgen werde ich ihr Blumen schenken, bevor ich nach Simrishamn
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