Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
fahre.
Näslund betrat den Raum.
»Hast du Zeit?« fragte er.
»Nicht sehr viel.«
»Ich mach auch ganz schnell. Es geht um diesen Klas Månsson.«
Kurt Wallander mußte einen Augenblick nachdenken, bis ihm wieder einfiel, wer das war.
»Der den Kiosk ausgeraubt hat?«
»Genau der. Wir haben Zeugen, die ihn wiedererkannt haben, obwohl er einen Strumpf über das Gesicht gezogen hatte. Eine Tätowierung am Handgelenk. Es ist völlig klar, daß er es war. Aber die neue Staatsanwältin ist anderer Meinung.«
Kurt Wallander hob die Augenbrauen.
»Wie das?«
»Sie findet, daß die Ermittlungen schlampig geführt worden sind.«
»Sind sie das?«
Näslund sah ihn erstaunt an.
»Sie sind nicht schlampiger geführt worden als andere Ermittlungen auch. Die Sache ist doch völlig klar, oder?«
»Was hat sie denn gesagt?«
»Wenn wir kein erschöpfenderes Beweismaterial vorlegen können, will sie den Haftbefehl nicht länger aufrechterhalten. Es ist einfach zum Kotzen, daß so eine Zicke aus Stockholm hierherkommen und sich aufspielen kann!«
Kurt Wallander merkte, daß er wütend wurde. Aber er hütete sich, es zu zeigen.
»Pelle hätte uns überhaupt keine Schwierigkeiten gemacht«, fuhr Näslund fort. »Es ist völlig klar, daß es dieser Gauner war, der das Geschäft ausgeraubt hat.«
|163| »Hast du die Akte hier?« fragte Kurt Wallander.
»Ich habe Svedberg gebeten, sie durchzulesen.«
»Bring sie mir mal rein, ich schau’ sie mir dann morgen an.«
Näslund machte sich bereit zu gehen.
»Jemand sollte der Alten mal ordentlich die Meinung sagen«, meinte er.
Kurt Wallander nickte und lächelte.
»Das werde ich erledigen«, sagte er. »Es geht wirklich nicht an, daß wir auf einmal eine Staatsanwältin aus Stockholm haben, die alles anders macht, als wir das gewohnt sind.«
»Ich habe mir gedacht, daß du das sagen würdest«, erwiderte Näslund und ging.
Ein ausgezeichneter Anlaß zu einem Abendessen, dachte Kurt Wallander. Er zog seine Jacke an, hängte sich den gereinigten Anzug über den Arm und löschte das Licht.
Nachdem er sich noch schnell geduscht hatte, war er kurz vor sieben in Malmö. Er fand einen Parkplatz am Markt und ging die Treppen hinab, in die Wirtschaft »Kockska Krogen«. Die Zeit reichte noch für ein paar Drinks, bis er Mona im Bahnhofsrestaurant treffen würde.
Obwohl ihn der Preis ärgerte, bestellte er einen doppelten Whisky. Am liebsten trank er Maltwhisky, aber diesmal mußte eine einfachere Marke reichen.
Beim ersten Schluck bekleckerte er sich.
Das würde einen neuen Fleck auf dem Jackett geben. Fast an der gleichen Stelle, wo der alte gewesen war.
Ich fahre wieder nach Hause, dachte er voller Selbstverachtung. Ich fahre nach Hause und lege mich ins Bett. Ich kann nicht einmal mehr ein Glas halten, ohne etwas zu verschütten. Gleichzeitig wußte er, daß dies übertriebene Eitelkeit war. Eitelkeit und unkontrollierbare Nervosität angesichts des Zusammentreffens mit Mona. Vielleicht ihre wichtigste Begegnung, seit er sie bat, ihn zu heiraten?
Jetzt hatte er die Absicht, eine Scheidung zu verhindern, die bereits vollzogen war.
|164| Aber was wollte er in Wirklichkeit?
Er trocknete den Rockärmel mit einer Papierserviette, leerte das Glas und bestellte noch einen Whisky.
In zehn Minuten mußte er gehen.
Bis dahin mußte er einen Entschluß gefaßt haben. Was würde er Mona sagen?
Und was würde sie antworten?
Er bekam seinen Whisky und trank schnell. Der Alkohol brannte in den Schläfen, und er merkte, daß er zu schwitzen begann.
Es gelang ihm nicht, einen Entschluß zu fassen.
Wenn er ehrlich war, hoffte er, daß Mona die erlösenden Worte sprechen würde.
Sie war es gewesen, die die Scheidung gewollt hatte.
Deshalb war es auch ihre Sache, die Initiative dazu zu ergreifen, sie wieder aufzuheben.
Er bezahlte und ging. Langsam, um nicht zu früh zu kommen.
Zwei Dinge beschloß er, während er an der Vallstraße auf das Umspringen der Ampel wartete.
Er würde wirklich ernsthaft mit Mona über Linda reden. Und er würde sie um Rat bitten, was seinen Vater betraf. Mona kannte ihn gut. Auch wenn sie nie ein sonderlich gutes Verhältnis zueinander gehabt hatten, wußte sie doch seine wechselnden Launen einzuschätzen.
Ich wollte heute eigentlich Kristina anrufen, dachte er, während er über die Straße ging.
Wahrscheinlich habe ich es absichtlich vergessen.
Er überquerte die Brücke über den Kanal und wurde von einem Auto voller Halbstarker überholt.
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