Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
richtig herausgekommen war. Sie war genauso plötzlich wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Dies war ihm schon früher ein paarmal so gegangen. Wenn er viel zu tun hatte, erlaubte er es sich einfach nicht, krank zu werden. War eine Ermittlung dann einmal abgeschlossen, konnte die Infektion jeden Moment wieder ausbrechen.
»Ich werde mich heute abend mit Mona treffen«, sagte er.
|152| Weiter über ein Altersheim oder betreutes Wohnen zu sprechen, erschien ihm sinnlos. Erst einmal mußte er mit seiner Schwester reden.
»Wenn sie dich einmal verlassen hat, dann ist nichts mehr zu machen. Vergiß sie.«
»Ich habe aber überhaupt keine Lust, sie zu vergessen.«
Der Vater malte weiter. Jetzt war er mit den rosa Wolken beschäftigt. Die Unterhaltung stockte.
»Brauchst du irgendwas?« fragte Kurt Wallander.
Sein Vater antwortete, ohne ihn anzusehen.
»Willst du schon wieder gehen?«
Der Vorwurf war schon zwischen den Worten spürbar. Kurt Wallander begriff die Vergeblichkeit seines Versuchs, das schlechte Gewissen zu unterdrücken, das sich unmittelbar meldete.
»Ich habe einen Beruf, dem ich nachzugehen habe. Ich bin stellvertretender Polizeichef. Wir versuchen, einem Doppelmord auf den Grund zu gehen. Und ein paar Brandstifter ausfindig zu machen.«
Der Vater schnaubte und kratzte sich am Hintern.
»Polizeichef«, sagte er. »Als ob das schon was wäre!«
Kurt Wallander stand auf.
»Ich komme bald wieder, Vater«, sagte er. »Und dann werden wir dieses Chaos hier mal etwas aufräumen.«
Der Wutausbruch seines Vaters traf ihn völlig unvorbereitet. Er schleuderte den Pinsel zu Boden, stellte sich unmittelbar vor ihn und schüttelte die geballte Faust.
»Bist du etwa nur gekommen, um mir zu sagen, daß es hier unaufgeräumt aussieht?« brüllte er. »Bist du gekommen, um dich in mein Leben einzumischen? Dann sollst du wissen, daß ich sowohl eine Putzfrau als auch eine Haushälterin habe. Im übrigen werde ich nach Rimini in den Winterurlaub fahren. Ich habe eine Ausstellung dort. 25.000 Kronen pro Bild ist der Preis, den ich verlange. Und dann kommst du hier hin und redest vom Altersheim. Aber es wird dir nicht gelingen, |153| mich ins Grab zu bringen. Darauf kannst du dich verlassen!«
Er verließ das Atelier, die Tür hinter sich zuschlagend.
Er ist verrückt geworden, dachte Kurt Wallander. Das muß ein Ende haben. Ob er sich wirklich einbildet, eine Putzfrau und eine Haushälterin zu haben? Daß er nach Italien fahren wird, um eine Ausstellung zu eröffnen?
Er zögerte, seinem Vater hinterherzugehen, der in der Küche herumpolterte. Es klang, als schmisse er mit Töpfen um sich.
Wallander ging zum Auto. Das beste würde sein, seine Schwester anzurufen. Und zwar jetzt, sofort. Gemeinsam konnte es ihnen vielleicht gelingen, den Vater davon zu überzeugen, daß es so einfach nicht mehr weiterging.
Um neun trat er durch die Tür des Polizeipräsidiums und gab Ebba seinen Anzug, die versprach, ihn bis zum Nachmittag reinigen und bügeln zu lassen.
Um zehn hatten sich die Polizisten, die nicht draußen waren, zur Fahndungsbesprechung versammelt. Alle, die den Bericht in den Nachrichten am Vorabend gesehen hatten, teilten seine Erregung. Nach einer kurzen Diskussion einigte man sich darauf, daß Wallander eine scharf formulierte Gegendarstellung schreiben und über die Nachrichtenagenturen verbreiten lassen sollte.
»Warum reagiert der Reichspolizeichef nicht auf so etwas?« wollte Martinsson wissen.
Seine Frage wurde mit einem verächtlichen Lachen beantwortet.
»Der!« sagte Rydberg. »Der reagiert doch nur dann, wenn es ihm irgendeinen persönlichen Vorteil bringt. Der scheißt doch darauf, wie es der Polizei auf dem Land geht.«
Nach diesem Kommentar wandte sich die Aufmerksamkeit wieder dem Doppelmord zu.
Etwas bahnbrechend Neues, das die Aufmerksamkeit der Polizeibeamten gefordert hätte, war nicht zu verzeichnen. |154| Immer noch befanden sie sich in der Anfangsphase der Ermittlungen.
Material wurde gesammelt und durchgearbeitet, die verschiedensten Hinweise wurden kontrolliert und protokolliert.
Es herrschte Einigkeit unter den Polizisten, daß die Geliebte und ihr Sohn in Kristianstad momentan die heißeste Spur waren. Immerhin zweifelte niemand mehr daran, daß es sich um einen Raubmord handelte.
Kurt Wallander fragte, ob es bei den einzelnen Unterkünften für Asylbewerber ruhig geblieben war.
»Ich bin die Dienstberichte der letzten Nacht durchgegangen«, antwortete
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