Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
eine kaltblütige Hinrichtung war. Das einzige, was die Mörder nicht wissen konnten, war, wer da alleine auf dem Weg kommen würde. Aber das interessierte sie ja auch überhaupt nicht.«
In der Kantine wurde es still. Rydbergs Analyse war so plausibel, |203| daß niemand etwas einzuwenden hatte. Das Rücksichtslose der Mordtat wurde nun ebenfalls vollends deutlich.
Es war Svedberg, der schließlich die Stille durchbrach.
»Ein Bote ist mit einer Kassette von der ›Sydsvenskan‹ gekommen«, sagte er.
Jemand holte einen Kassettenrecorder.
Kurt Wallander erkannte die Stimme sofort wieder. Es war derselbe Mann, der ihn zweimal angerufen und ihm gedroht hatte.
»Wir schicken das Band nach Stockholm«, sagte Kurt Wallander. »Vielleicht können die bei einer Analyse was herausbekommen.«
»Ich finde auch, daß wir herausbekommen sollten, welche Apfelsorte er gegessen hat«, meinte Rydberg. »Mit ein bißchen Glück kann man dann das Geschäft herausfinden, in dem der Apfel gekauft wurde.«
Dann begannen sie, über das Motiv zu sprechen.
»Rassismus«, sagte Kurt Wallander. »Da kommen verdammt viele in Frage. Aber ich nehme an, wir müssen anfangen, uns ernsthaft mit den ganzen rechtsextremen Bewegungen zu befassen. Offensichtlich sind wir in eine neue und wirklich ernstzunehmende Phase eingetreten. Jetzt werden keine Parolen mehr gepinselt. Jetzt werden Brandbomben geworfen und Leute ermordet. Aber ich glaube auf keinen Fall, daß es sich hier um die gleichen Personen handelt wie bei dem Brandanschlag auf die Baracken hier in Ystad. In dem Fall glaube ich nach wie vor an so etwas wie einen schlechten Scherz oder das Werk von ein paar Betrunkenen, die sich über die ganzen Asylanten aufregen. Dieser Mord hier ist anders gelagert. Entweder handelt es sich um Personen, die unabhängig handeln. Oder aber sie gehören zu einer Art Bewegung. Und bei denen werden wir uns einmal gründlich umsehen. Wir müssen auch an die Öffentlichkeit gehen und die Bevölkerung um Hinweise bitten. Ich werde auch in Stockholm um Hilfe bitten, damit wir uns einen genauen Überblick über die ganzen |204| neuen rechtsextremen Bewegungen verschaffen können. Dieser Mord hat Alarmstufe auf Reichsniveau. Das bedeutet, daß wir alle Mittel bekommen, die wir haben wollen. Außerdem muß jemand diesen Citroën gesehen haben.«
»Es gibt einen Citroën-Club«, sagte Näslund mit heiserer Stimme. »Wir können deren Mitgliederlisten mit der Kraftfahrzeugkartei mischen. Die Leute, die in dem Club drin sind, kennen wahrscheinlich jeden einzelnen Citroën in diesem Land.«
Die Arbeitsaufgaben wurden verteilt. Es war fast halb elf, und die Besprechung war noch nicht beendet. Niemand dachte daran, nach Hause zu gehen.
Kurt Wallander setzte eine improvisierte Pressekonferenz in der Eingangshalle des Polizeipräsidiums an. Noch einmal betonte er, daß alle, die einen Citroën auf der E 14 gesehen hatten, sich melden sollten. Außerdem gab er die vorläufige Personenbeschreibung des Mörders bekannt.
Als er alles gesagt hatte, wurde er mit Fragen bestürmt.
»Nicht jetzt«, wehrte er ab. »Was ich zu sagen hatte, habe ich gesagt.«
Auf dem Rückweg zu seinem Büro traf er Hansson, der ihn fragte, ob er eine Aufzeichnung des Diskussionsprogramms sehen wollte,an dem der Reichspolizeichef teilgenommen hatte.
»Lieber nicht«, antwortete er. »Jedenfalls nicht jetzt.«
Er räumte seinen Schreibtisch auf. Den Zettel mit der Notiz, daß er seine Schwester anrufen wollte, klebte er auf den Telefonhörer. Dann rief er Göran Boman zu Hause an. Boman ging selbst an den Apparat.
»Wie läuft es?« fragte Boman.
»Wir haben einiges, dem wir nachgehen können«, antwortete Kurt Wallander. »Wir müssen am Ball bleiben.«
»Ich habe jedenfalls gute Nachrichten für dich.«
»Darauf hatte ich schon gehofft.«
»Die Kollegen in Sölvesborg haben Nils Velander gefunden. Offenbar hat er ein Boot auf einer Werft, an dem er ab und zu |205| herumbastelt. Das Protokoll des Verhörs kommt erst morgen, aber ich hab’ das Wichtigste schon herausbekommen. Er behauptet, daß er das Geld in der Plastiktüte mit seiner Reizwäsche verdient hat. Und er war damit einverstanden, daß die Scheine ausgetauscht werden, so daß wir sie auf Fingerabdrücke untersuchen können.«
»Die Raiffeisenbank hier in Ystad«, sagte Kurt Wallander. »Wir müssen nachfragen, ob die Scheinnummern zurückverfolgt werden können.«
»Das Geld kommt morgen. Aber um ehrlich zu sein,
Weitere Kostenlose Bücher