Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
ließ, war das Überleben der alten Frau.
Sie hatte alles gesehen. Sie
mußte
etwas wissen.
Aber im Falle ihres Todes würde der Doppelmord nur schwer zu lösen sein.
Er war beunruhigt.
Im allgemeinen spornte ihn seine Entrüstung dazu an, große Energie und Tatkraft zu entwickeln. Weil diese Eigenschaften die Voraussetzungen für jegliche Polizeiarbeit darstellten, war er immer davon ausgegangen, daß er ein guter Polizist war. Aber diesmal fühlte er sich verunsichert und müde.
Er zwang sich, den ersten Gang einzulegen. Das Auto rollte ein paar Meter. Dann brachte er den Wagen wieder zum Stehen. Ihm schien, als habe er erst in diesem Augenblick wirklich begriffen, was er an diesem eisigen Wintermorgen erlebt hatte.
Besonders die Grausamkeit dieses Überfalls auf ein altes, wehrloses Paar machte ihm angst. Es war etwas geschehen, was in dieser Gegend einfach nicht hätte geschehen dürfen.
Er sah aus dem Fenster. Der Wind pfiff durch die Ritzen der Autotüren.
Ich muß jetzt anfangen, dachte er.
Es ist schon genau so, wie Rydberg gesagt hat.
Die das hier getan haben, müssen unbedingt geschnappt werden.
Er fuhr auf direktem Weg zum Krankenhaus von Ystad und nahm den Aufzug zur Intensivstation. Auf dem Gang entdeckte |24| er den jungen Polizeiaspiranten Martinsson, der auf einem Stuhl neben der Tür saß.
Kurt Wallander merkte, daß Ärger in ihm aufstieg.
Gab es denn wirklich niemand anderen als einen jungen, unerfahrenen Polizeiaspiranten, den man zum Krankenhaus schicken konnte? Und warum saß er hier draußen vor der Tür? Warum saß er nicht auf der Bettkante, immer darauf gefaßt, auch das leiseste Flüstern der mißhandelten Frau aufzufangen?
»Hallo«, sagte Kurt Wallander. »Wie sieht es aus?«
»Sie ist bewußtlos«, antwortete Martinsson. »Die Ärzte scheinen nicht allzuviel Hoffnung zu haben.«
»Warum sitzt du hier draußen? Warum bist du nicht da drinnen?«
»Sie sagen Bescheid, wenn etwas ist.«
Kurt Wallander merkte, daß Martinsson unsicher geworden war.
Ich höre mich an wie ein alter, mürrischer Oberlehrer, dachte er.
Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spaltbreit und lugte hinein. Im Warteraum des Todes seufzten und pumpten eine Reihe von Maschinen. Schläuche schlängelten sich wie durchsichtige Würmer die Wände entlang. Eine Krankenschwester war gerade dabei, ein Diagramm abzulesen, als er die Tür öffnete.
»Hier dürfen Sie nicht herein«, sagte sie mit strenger Stimme.
»Ich bin Polizist«, antwortete Wallander unbeholfen. »Ich möchte mich nur danach erkundigen, wie es ihr geht.«
»Ihnen ist bereits gesagt worden, daß Sie draußen warten sollen«, gab die Krankenschwester zurück.
Noch bevor Wallander etwas erwidern konnte, betrat ein Arzt mit schnellen Schritten das Zimmer. Er fand, daß der Arzt erstaunlich jung aussah.
»Unbefugten ist es eigentlich nicht gestattet, sich hier aufzuhalten«, sagte der junge Arzt, als sein Blick auf Wallander fiel.
|25| »Ich bin gleich wieder weg. Ich möchte ja nur hören, wie es ihr geht. Ich heiße Wallander und bin Polizist. Kriminalpolizei«, fügte er hinzu, unsicher, ob dies einen Unterschied machte. »Ich leite die Ermittlungen nach der oder den Personen, die hierfür verantwortlich sind. Wie ist ihr Zustand?«
»Es ist ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebt«, sagte der Arzt und bedeutete mit einem Nicken, ihm ans Bett zu folgen. »Welche inneren Schäden sie davongetragen hat, können wir noch nicht sagen. Erst einmal geht es nur darum, daß sie überlebt. Aber die Kehle ist stark deformiert. Als habe jemand versucht, sie zu erwürgen.«
»Genau das ist geschehen«, kommentierte Wallander und betrachtete das magere Gesicht, das von Decken und Schläuchen eingerahmt war.
»Eigentlich dürfte sie gar nicht mehr leben«, meinte der Arzt.
»Ich hoffe, sie überlebt«, gab Wallander zurück. »Sie ist die einzige Zeugin, die wir haben.«
»Wir hoffen eigentlich, daß alle unsere Patienten überleben«, antwortete der Arzt abweisend und studierte einen Bildschirm, auf dem grüne Linien eine endlose Wellenlinie beschrieben.
Kurt Wallander verließ den Raum, nachdem der Arzt ihm noch einmal gesagt hatte, daß sich vorerst noch nichts Genaueres sagen ließe. Der Ausgang der Sache war ungewiß. Es war durchaus möglich, daß Maria Lövgren starb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Niemand konnte das wissen.
»Kannst du von den Lippen ablesen?« wollte er von Martinsson wissen.
»Nein«, antwortete
Weitere Kostenlose Bücher