Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
der kaum etwas sehen konnte, weil ihm das Blut in die Augen lief, stolperte über den bewußtlosen Polizisten, der im Treppenhaus lag. Er zog und zerrte an der Sicherung der Pistole, die sich verhakt hatte.
Dann war er draußen auf der Straße.
»In welche Richtung ist er gelaufen?« rief er dem verwirrten Polizisten zu, der im Sackleinen gelandet war.
»Nach links«, kam die Antwort.
Er lief. Er konnte Valfrid Ströms grünen Trainingsanzug gerade noch erkennen, bevor der Mann in einer Unterführung verschwand. Er riß sich die Mütze vom Kopf, um sich das Gesicht abzuwischen. Ein paar ältere Frauen, die aussahen, als wären sie auf dem Weg zur Kirche, sprangen erschrocken zur Seite. Er stürzte in die Unterführung, während gleichzeitig ein Zug über seinen Kopf hinwegdonnerte.
Als er wieder auf die Straße hinaufkam, sah er, wie Valfrid Ström ein Auto stoppte, den Fahrer herauszerrte und losfuhr.
Das einzige Fahrzeug, das sonst noch in der Nähe stand, war ein großer Viehtransporter. Der Fahrer war gerade dabei, sich eine Packung Kondome aus dem Automaten zu ziehen. Als Kurt Wallander mit der Pistole in der Hand und blutigem |246| Gesicht herangestürmt kam, ließ er die Packung Kondome fallen und lief davon.
Kurt Wallander kletterte auf den Fahrersitz. Hinter sich hörte er ein Pferd wiehern. Der Motor lief, und er legte den ersten Gang ein.
Erst glaubte er, das Auto mit Valfrid Ström aus den Augen verloren zu haben, als es schließlich doch wieder in seinem Blickfeld auftauchte. Der Wagen überfuhr eine rote Ampel und bog dann in eine enge Gasse ein, die genau auf den Dom zuführte. Kurt Wallander kämpfte mit den Gängen, um das Auto nicht aus den Augen zu verlieren. Das Pferd hinter ihm wieherte, und ihm stieg der Geruch von warmem Dung in die Nase.
In einer engen Kurve verlor er völlig die Kontrolle über den Viehtransporter. Der prallte gegen zwei PKWs, die am Straßenrand standen, aber schließlich gelang es Wallander doch wieder, den Transporter unter Kontrolle zu bekommen.
Die Jagd führte zum Krankenhaus und dann durch ein Industriegebiet. Kurt Wallander entdeckte auf einmal, daß der Viehtransporter mit einem Autotelefon ausgerüstet war. Mit der einen Hand versuchte er die Nummer der Polizei zu wählen, während er gleichzeitig bemüht war, das schwere Fahrzeug auf der Straße zu halten.
Genau in dem Moment, in dem die Polizeizentrale antwortete, war er gezwungen, eine schwierige Kurve zu meistern.
Das Telefon fiel ihm aus der Hand, und er begriff, daß er es nicht erreichen konnte, ohne anzuhalten.
Das ist doch der reine Wahnsinn, dachte er verzweifelt. Völliger Wahnsinn.
Gleichzeitig fiel ihm seine Schwester wieder ein. Genau in diesem Moment sollte er eigentlich auf dem Flughafen Sturup sein, um sie dort abzuholen.
Im Kreisverkehr an der Einfahrt nach Staffanstorp ging die Jagd zu Ende.
Valfrid Ström wurde von einem Bus, der schon halb in den |247| Kreisverkehr gebogen war, zu einer Vollbremsung gezwungen. Er verlor die Kontrolle über das Auto und fuhr direkt in einen Betonpfeiler. Kurt Wallander, der ungefähr hundert Meter zurück war, sah, wie die Flammen aus dem Wagen schlugen. Er bremste so scharf, daß der Viehtransporter in den Straßengraben schleuderte und umkippte. Die Hecktüren sprangen auf, drei Pferde sprangen heraus und galoppierten über die Felder davon.
Valfrid Ström war bei der Kollision aus dem Auto geschleudert worden. Ein Fuß war abgerissen, und das Gesicht von Glassplittern zerschnitten.
Noch bevor Kurt Wallander ihn erreicht hatte, wußte er, daß der Mann tot war.
Aus den Häusern in der Nachbarschaft kamen Menschen gelaufen. Autos hielten am Straßenrand.
Plötzlich wurde ihm klar, daß er immer noch die Pistole in der Hand hielt.
Wenige Minuten später kam der erste Streifenwagen. Gleich darauf ein Krankenwagen. Kurt Wallander zeigte seinen Dienstausweis und rief vom Streifenwagen aus an. Er bat darum, mit Björk sprechen zu können.
»Ist alles glattgegangen?« fragte Björk. »Rune Bergman ist festgenommen worden und schon auf dem Weg hierher. Es gab keine Probleme. Und die jugoslawische Frau wartet hier mit ihrem Dolmetscher.«
»Schick sie ins Leichenschauhaus des hiesigen Krankenhauses«, sagte Kurt Wallander. »Sie muß jetzt leider einer Leiche gegenübergestellt werden. Und übrigens, sie ist Rumänin.«
»Was zum Teufel meinst du damit?« fragte Björk.
»Genau das, was ich gesagt habe«, antwortete Kurt Wallander und beendete
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