Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
auf.
»Hast du Schmerzen?« fragte sie.
Er nickte. Das stimmte natürlich nicht, aber er gab seinem verschwommenen Bedürfnis nach Mitleid nach.
»Es ist vielleicht besser, wenn du nach Hause gehst«, sagte sie.
Das war allerdings das, was er am wenigsten wollte. Er fand auch nicht, daß er noch ein Zuhause hatte, seitdem Mona ausgezogen war.
Er trank aus und reichte ihr sein Glas zum Nachfüllen. Mittlerweile war er so betrunken, daß er begann, alle Hemmungen zu verlieren.
»Eins noch«, sagte er. »Das habe ich mir verdient.«
»Aber dann mußt du gehen«, sagte sie.
Ihre Stimme war plötzlich kühl geworden. Doch es gelang ihm nicht mehr, darauf noch Rücksicht zu nehmen. Als sie mit seinem Glas zu ihm kam, griff er nach ihr und zog sie zu sich auf den Sessel.
»Setz dich hier neben mich«, sagte er und legte die Hand auf ihre Schenkel.
Sie machte sich los und gab ihm eine Ohrfeige. Sie schlug mit der Hand, an der sie den Trauring trug, und er spürte, wie die Haut auf seiner Wange aufriß.
»Geh jetzt nach Hause«, sagte sie.
Er stellte das Glas auf den Tisch.
»Was machst du, wenn ich nicht gehe?« fragte er. »Rufst du dann die Polizei?«
Sie antwortete nicht. Aber er sah, daß sie vor Wut kochte.
|259| Er stolperte ein wenig beim Aufstehen.
Plötzlich begriff er, was er zu tun versucht hatte.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich bin müde.«
»Wir vergessen das hier«, antwortete sie. »Aber jetzt mußt du gehen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist«, versuchte er sich zu entschuldigen und streckte ihr seine Hand entgegen.
Sie nahm sie.
»Wir vergessen das jetzt«, sagte sie. »Gute Nacht.«
Er versuchte, noch etwas zu sagen. Trotz seines benebelten Gehirns spürte er, daß das, was er getan hatte, sowohl unverzeihlich als auch gefährlich war. Auf die gleiche Art und Weise gefährlich wie sein Verhalten in jener Nacht, als er mit dem Auto von seiner Verabredung mit Mona nach Hause gefahren war, obwohl er betrunken war.
Er ging und hörte, wie die Tür hinter ihm geschlossen wurde.
Ich muß aufhören, Schnaps zu trinken, dachte er wütend. Ich vertrage einfach nichts mehr.
Unten auf der Straße sog er die kühle Luft in die Lungen.
Wie kann man sich bloß so bescheuert benehmen? dachte er. Wie ein betrunkener Halbstarker, der nichts von sich selbst, den Frauen und der Welt versteht.
Er ging nach Hause in die Mariastraße.
Am darauffolgenden Tag würde er die Jagd nach den Mördern von Lenarp wiederaufnehmen.
|260| 13
Am Montag morgen, den 15. Januar, fuhr Kurt Wallander zum Gartencenter, das an der Ausfahrt nach Malmö lag, und kaufte zwei Blumensträuße. Ihm fiel ein, daß es nun acht Tage her war, seit er denselben Weg gefahren war, damals Richtung Lenarp, zu dem Ort des Verbrechens, das noch immer seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er dachte daran, daß die letzte Woche die intensivste gewesen war, die er in all seinen Jahren als Polizist erlebt hatte. Als er sein Gesicht im Rückspiegel betrachtete, erinnerte ihn jede Schramme, jede Beule und jeder Farbton zwischen violett und schwarz an diese Woche.
Die Temperatur betrug einige Grad unter null. Es war windstill. Die weiße Fähre aus Polen war auf dem Weg in den Hafen.
Als er kurz nach acht das Polizeipräsidium betrat, gab er Ebba einen der beiden Blumensträuße. Obwohl sie ihn zuerst nicht annehmen wollte, konnte er doch sehen, daß sie sich über die Aufmerksamkeit freute. Den anderen Strauß nahm er mit in sein Zimmer. Er zog eine Karte aus einer Schreibtischschublade und dachte lange darüber nach, was er der Staatsanwältin Anette Brolin schreiben sollte. Eigentlich dachte er viel zu lange nach. Als er schließlich ein paar Zeilen schrieb, hatte er den Versuch, die perfekte Formulierung zu finden, bereits aufgegeben. Nun bat er nur um Nachsicht für sein Verhalten am Abend zuvor, das er auf seine Müdigkeit schob.
Ich bin von Natur aus schüchtern,
fügte er noch hinzu. Obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Aber er hoffte, daß es Anette Brolin dazu bewog, ihm zu verzeihen.
Gerade als er in den Flur der Staatsanwaltschaft hinübergehen |261| wollte, trat Björk durch die Tür. Er hatte wie immer so leise geklopft, daß Kurt Wallander es nicht gehört hatte.
»Hast du Blumen bekommen?« fragte Björk. »Die hast du dir wirklich verdient. Ich bin tief beeindruckt, wie schnell du den Mord an dem Neger gelöst hast.«
Kurt Wallander gefiel es nicht, daß Björk von dem Somalier
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