Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Materials jemanden in Untersuchungshaft behalten würde.«
»Die Ermittlung ist nicht schlechter als viele andere auch. Außerdem vergißt du eine wichtige Tatsache.«
»Welche?«
»Daß Klas Månsson schuldig ist. Er hat auch früher schon Geschäfte ausgeraubt.«
»Dann müßt ihr bessere Ermittlungsunterlagen vorlegen.«
»Ich finde nicht, daß an dem Bericht etwas auszusetzen ist. Wenn wir diesen verdammten Månsson jetzt wieder freilassen, dann begeht er nur wieder neue Straftaten.«
»Man kann aber Leute nicht einfach so verhaften.«
Kurt Wallander zuckte die Schultern.
|256| »Verzichtest du darauf, ihn freizulassen, wenn ich eine ausführlichere Zeugenaussage besorge?« fragte er.
»Das kommt darauf an, was der Zeuge sagt.«
»Warum bist du nur so stur? Klas Månsson ist schuldig. Wir müssen ihn nur noch etwas dabehalten dürfen, dann gesteht er schon. Aber wenn er nur die geringste Chance wittert, sich wieder aus der Affäre zu ziehen, wird er kein einziges Wort sagen.«
»Staatsanwälte müssen stur sein. Was würde denn deiner Meinung nach sonst mit der Rechtssicherheit in diesem Land geschehen?«
Kurt Wallander merkte, daß der Alkohol ihn streitlustig stimmte.
»Diese Frage kann auch von einem unbedeutenden Kriminalpolizisten auf dem Land gestellt werden«, sagte er. »Ich war davon überzeugt, daß es der Beruf des Polizisten ist, das Eigentum ganz gewöhnlicher Menschen zu schützen und ihre Sicherheit zu garantieren. Das glaube ich auch immer noch. Aber ich habe andererseits gesehen, wie die Rechtssicherheit ständig ausgehöhlt wird. Ich habe gesehen, wie Jugendliche, die eine Straftat begangen haben, mehr oder minder dazu ermuntert worden sind, einfach so weiterzumachen. Niemand greift ein. Niemand kümmert sich um die Opfer der zunehmenden Gewalt. Es wird alles immer nur schlimmer.«
»Jetzt hörst du dich an wie mein Vater«, sagte sie. »Er ist Richter im Ruhestand. Ein richtiger alter, reaktionärer Beamter.«
»Vielleicht, ja. Vielleicht bin ich konservativ. Aber ich stehe zu dem, was ich sage. Ich verstehe wirklich, daß einige Menschen die Dinge manchmal selber in die Hand nehmen wollen.«
»Vielleicht hast du sogar Verständnis dafür, daß ein paar verwirrte Gehirne einen unschuldigen Asylbewerber umbringen?«
»Ja und nein. Die Verunsicherung in diesem Land ist groß. |257| Die Menschen bekommen Angst. Besonders in Bauerndörfern wie diesen hier. Du wirst bald schon merken, daß es im Moment gerade einen großen Helden in diesem Teil des Landes gibt. Einen Mann, dem heimlich, hinter vorgezogenen Gardinen, applaudiert wird. Der Mann nämlich, der dafür gesorgt hat, daß es eine kommunale Abstimmung gab, die ein Nein zur weiteren Aufnahme von Asylanten zur Folge hatte.«
»Wie soll es weitergehen, wenn wir uns so über Reichstagsbeschlüsse hinwegsetzen? Wir haben eine Asylpolitik, die im ganzen Land befolgt werden muß.«
»Falsch. Es ist genau das Fehlen einer Asylpolitik, was zu diesem Chaos führt. Im Moment leben wir in einem Land, in das wer auch immer, mit welchen Motiven auch immer, wie auch immer, wann auch immer und wo auch immer hineinkommen kann. Die Grenzkontrollen sind abgeschafft worden. Die Zollverwaltung ist machtlos. Es gibt eine Reihe von nicht kontrollierbaren, kleinen Flugplätzen, auf denen jede Nacht Drogen und illegale Einwanderer entladen werden.«
Er merkte, daß er zunehmend gereizter wurde. Der Mord an dem Somalier war ein Verbrechen mit vielschichtigen Motiven.
»Rune Bergman soll natürlich mit der höchstmöglichen Strafe hinter Gitter gebracht werden. Aber auch die Einwanderungsbehörde und die Regierung trifft ein Teil der Schuld.«
»Das ist doch Blödsinn.«
»Ist es das? Jetzt tauchen Personen, die dem faschistischen Sicherheitsdienst in Rumänien angehört haben, auf einmal hier in Schweden auf. Sie suchen Asyl. Sollen sie es bekommen?«
»Das prinzipielle Recht auf Asyl muß gelten.«
»Muß es das wirklich? Immer? Auch wenn es fehl am Platz ist?«
Sie stand vom Sofa auf und füllte die Gläser nach.
Kurt Wallander fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
Wir sind zu verschieden, dachte er.
|258| Schon nach zehn Minuten Unterhaltung tut sich ein Abgrund auf.
Der Schnaps machte ihn aggressiv. Er sah sie an und merkte, daß sie ihn gleichzeitig erregte.
Wie lange war es eigentlich her, daß Mona und er das letzte Mal miteinander geschlafen hatten?
Fast ein Jahr. Ein Jahr ohne Sexualleben.
Bei dem Gedanken stöhnte er
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