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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Wallander.«
    Sie sprach seinen Nachnamen aus, als wäre es sein Vorname, und ihm schoß durch den Kopf, daß er bald selbst nicht mehr wußte, wie er hieß. Der alte Mann setzte sich im Bett auf, aber als er auf einen Stock gestützt aufstehen wollte, um den obdachlosen Fremden willkommen zu heißen, protestierte Wallander. Das sei nicht nötig, er wolle nicht zur Last fallen. Vera stellte in der kleinen Küche Brot und Aufschnitt zurecht, und Wallander protestierte aufs neue, daß er nur ein Versteck suche und keinen gedeckten Tisch. Es war ihm peinlich, sie um Hilfe zu bitten, und er schämte sich seiner Wohnung in der Mariagatan, die dreimal größer war als der Raum, den sie zur Verfügung hatte. Sie zeigte ihm das andere Zimmer, in dem ein sperriges Bett den meisten Platz einnahm.
    »Schließen Sie die Tür, wenn Sie nicht gestört werden wollen«, sagte sie. »Hier können Sie sich ausruhen. Ich werde versuchen, so schnell wie möglich aus dem Hotel wegzukommen.«
    »Ich will nicht, daß Sie sich meinetwegen in Gefahr bringen«, sagte er.
    »Was nötig ist, muß immer getan werden«, antwortete sie. »Ich bin froh, daß Sie sich an mich gewandt haben.«
    Dann ging sie. Wallander ließ sich schwer auf die Bettkante fallen.
    Bis hierher hatte er es geschafft.
    Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Baiba Liepa zu warten.
     
    Vera kam um kurz vor fünf aus dem Hotel zurück. Bis dahin hatte Wallander zusammen mit ihren Kindern, der zwölfjährigen Sabine und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Ieva, Tee getrunken. Er hatte ein paar lettische Wörter gelernt, die beiden hatten über seinen unbeholfenen Versuch, »Mein Hut, der hat drei Ecken« zu singen, gekichert, und Veras Vater hatte mit |286| brüchiger Stimme eine alte Soldatenballade gesungen. Für kurze Zeit war es Wallander gelungen, seinen Auftrag, die Erinnerung an Ineses durchschossenes Auge und das brutale Morden zu verdrängen. Er hatte entdeckt, daß es ein normales Leben jenseits der Welt der Obersten gab, und das hatte Major Liepa durch seinen selbst gewählten Auftrag verteidigt. Für Sabine, Ieva und Veras alten Vater trafen sich Menschen in versteckten Jagdhütten oder Lagerhäusern.
    Nachdem Vera zurückgekehrt war und ihre Töchter umarmt hatte, schloß sie hinter sich und Wallander die Tür. Sie saßen auf ihrem Bett, und die Situation schien ihr plötzlich peinlich zu sein. Um ihr seine Dankbarkeit zu zeigen, berührte er ihren Arm, aber sie mißverstand die Geste und zog sich zurück. Er sah ein, daß es sinnlos war, ihr das zu erklären, und fragte statt dessen, ob es ihr gelungen sei, Kontakt zu Baiba Liepa aufzunehmen.
    »Baiba weint«, antwortete sie. »Sie trauert um ihre Freunde. Sie weint vor allem um Inese. Sie hatte sie alle gewarnt, weil die Polizei ihre Bewachung verstärkt hatte, sie hatte sie angefleht, vorsichtig zu sein. Trotzdem ist geschehen, was sie befürchtet hat. Baiba weint, aber sie ist auch voller Zorn, genau wie ich. Sie will Sie heute abend treffen, Wallander, und wir haben einen Plan. Aber bevor ich weiterspreche, müssen wir etwas essen. Wenn wir nichts essen, haben wir bereits jede Hoffnung aufgegeben.«
    Sie zwängten sich an einen Eßtisch, der von einer Wand des Zimmers, in dem der Vater sein Bett hatte, heruntergeklappt wurde. Wallander kam es vor, als lebten Vera und ihre Familie in einem Wohnwagen. Damit alle Platz bekamen, mußte die Einrichtung wohlüberlegt sein, und er fragte sich ernsthaft, wie es möglich war, ein ganzes Leben lang in dieser Enge auszuhalten. Er dachte an den Abend zurück, an dem er Oberst Putnis’ Villa außerhalb von Riga besucht hatte. Um seine Privilegien zu wahren, hatte einer der beiden Obersten seinen Untergebenen eine Hetzjagd auf Menschen wie den Major |287| und Inese befohlen. Nun begriff er, wie groß die Kluft zwischen diesen Welten war. Und weil die eine fürchtete, ihre Macht zu verlieren, mußte Blut fließen.
     
    Sie aßen eine Gemüsesuppe, die Vera auf dem winzigen Herd zubereitete. Die beiden Mädchen trugen Brot und Bier auf. Obwohl Wallander Veras gewaltige Anspannung bemerkte, bewahrte sie vor ihrer Familie ihre scheinbar gelassene Haltung. Wieder dachte er, daß er nicht das Recht hatte, sie durch seine Bitte um Hilfe in Gefahr zu bringen. Wie sollte er sich jemals verzeihen können, wenn ihr etwas zustieß?
    Als die Mahlzeit beendet war, deckten die Mädchen den Tisch ab und spülten, während Veras Vater sich wieder ins Bett legte.
    »Wie heißt

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