Wallander 02 - Hunde von Riga
Reihen der Polizei hinter dem Mord steckt?«
»Wir wissen es natürlich nicht. Aber wir vermuten es. Es gibt keine andere einleuchtende Erklärung.«
»Wer könnte es gewesen sein?«
»Wir hoffen, daß Sie uns dabei helfen können, dies herauszufinden.«
Wallander begriff, daß er endlich einen ersten Anhaltspunkt für einen möglichen Zusammenhang hatte. Er dachte an die unzureichende Untersuchung des Fundortes von Major Liepas Leichnam. Er dachte daran, daß er seit seiner Ankunft in Riga beschattet wurde. Ein Geflecht aus Scheinmanövern zeichnete sich plötzlich deutlich ab.
»Einer der beiden Obersten?« fragte er. »Putnis oder Murniers?«
Upitis antwortete, ohne seine Worte abzuwägen. Wallander würde sich später daran erinnern, so etwas wie Triumph aus seiner Stimme herausgehört zu haben.
»Wir verdächtigen Oberst Murniers.«
»Warum?«
|159| »Wir haben unsere Gründe.«
»Welche Gründe?«
»Oberst Murniers hat sich bei vielen Gelegenheiten als ein loyaler sowjetischer Staatsbürger hervorgetan.«
»Er ist Russe?« fragte Wallander erstaunt.
»Murniers kam während des Krieges hierher. Sein Vater war in der Roten Armee. 1957 ging er zur Polizei. Damals war er noch sehr jung, sehr jung und sehr vielversprechend.«
»Er soll wirklich einen seiner eigenen Untergebenen umgebracht haben?«
»Es gibt keine andere Erklärung. Wir wissen natürlich nicht, ob Murniers es selbst getan hat. Den Mord kann auch ein anderer ausgeführt haben.«
»Aber warum wurde Major Liepa am Abend seiner Rückkehr ermordet?«
»Major Liepa war ein schweigsamer Mann«, erwiderte Upitis mit Nachdruck. »Er sagte nie ein überflüssiges Wort. Das lernt man in diesem Land. Obwohl wir eng befreundet waren, sagte er nicht einmal mir mehr als unbedingt nötig. Man lernt, seine Freunde nicht durch allzuviele Vertraulichkeiten zu belasten. Aber ab und zu ließ er durchblicken, daß er einer Sache auf die Spur gekommen war.«
»Welcher Sache?«
»Das wissen wir nicht.«
»Etwas müssen Sie doch wissen?«
Upitis schüttelte den Kopf. Er machte plötzlich einen sehr müden Eindruck. Der Fahrer saß regungslos auf seinem Stuhl.
»Woher wollen Sie wissen, daß Sie mir vertrauen können?« fragte Wallander.
»Das wissen wir nicht. Aber wir müssen dieses Risiko eingehen. Wir denken, daß ein schwedischer Polizeibeamter kein Interesse daran haben wird, in das fürchterliche Chaos, das in diesem Land herrscht, zu geraten.«
Stimmt, dachte Wallander. Ich mag es nicht, beschattet zu werden, und ich will auch nicht zu nächtlicher Stunde in |160| irgendeine Jagdhütte gebracht werden. Im Grunde würde ich am liebsten nach Hause fahren.
»Ich muß Baiba Liepa treffen«, sagte er.
Upitis nickte.
»Wir werden anrufen und nach
Herrn Eckers
fragen«, antwortete er. »Vielleicht geht es ja schon morgen?«
»Ich könnte veranlassen, daß man sie zum Verhör bestellt.«
Upitis schüttelte den Kopf.
»Es könnten zu viele mithören«, sagte er. »Wir werden ein Treffen arrangieren.«
Das Gespräch brach ab. Upitis schien tief in Gedanken versunken zu sein. Wallander warf einen Blick in die Dunkelheit. Der schwache Lichtstreifen war verschwunden.
»Haben Sie herausbekommen, was Sie wissen wollten?« fragte er. Upitis lächelte, ohne zu antworten.
»An jenem Abend, an dem Major Liepa bei mir zu Hause war, Whisky trank und › Turandot‹ hörte, hat er nichts gesagt, was die Umstände seines Todes erhellen könnte. Das hätten Sie mich auch ohne große Umschweife fragen können.«
»In diesem Land gibt es keine Abkürzungen«, sagte Upitis. »Meistens ist ein Umweg der einzig gangbare und sichere Weg.«
Er schob den Notizblock zur Seite und stand auf. Der Fahrer sprang von seinem Stuhl auf.
»Ich würde auf dem Rückweg gern auf die Kapuze verzichten«, sagte Wallander. »Sie juckt so.«
»Selbstverständlich«, antwortete Upitis. »Ich hoffe, Sie verstehen, daß wir diese Vorsichtsmaßnahme auch ihretwegen treffen mußten.«
Der Mond schien, und es war kalt, als sie nach Riga zurückkehrten. Durch das Autofenster konnte Wallander die vorbeigleitenden Silhouetten dunkler Dörfer erkennen. Dann fuhren sie durch Rigas Vorstädte, endlose Hochhausschatten, unbeleuchtete Straßen.
|161| Wallander verließ das Auto an der Stelle, an der er eingestiegen war. Upitis hatte ihn angewiesen, die Hintertür des Hotels zu benutzen. Als er die Tür öffnen wollte, war sie verschlossen. Er überlegte noch, was er jetzt tun sollte,
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