Wallander 02 - Hunde von Riga
muß alles erfahren«, sagte Wallander. »Was Sie auch immer über diese Verschwörung wissen, es ist wichtig.«
Sie saß einen Moment schweigend da, bevor sie zu sprechen begann. Wallander merkte, daß ihn die Konzentration ins Schwitzen gebracht hatte.
»Ein paar Jahre, bevor wir uns kennenlernten, Ende der siebziger Jahre, geschah etwas, was ihm endgültig die Augen dafür öffnete, wie es in diesem Land zugeht. Er sprach oft davon und sagte, daß jedem Menschen die Augen auf jeweils ganz besondere Art geöffnet werden müssen. Er bediente sich immer eines Gleichnisses, das ich zuerst nicht verstand.
Manche Menschen werden von Hähnen geweckt, andere davon, daß die Stille zu groß ist.
Heute weiß ich natürlich, was er gemeint hat. Damals vor über zehn Jahren führte er langwierige und mühevolle Ermittlungen durch, die schließlich zur Ergreifung eines Täters führten. Es handelte sich um einen Mann, der viele Ikonen aus unseren Kirchen gestohlen hatte, unersetzliche Kunstgegenstände, die dann aus unserem Land herausgeschmuggelt und für horrende Summen verkauft wurden. Die Beweisführung war lückenlos, und Karlis war sicher, daß der Mann für seine Verbrechen verurteilt werden würde. Aber dazu kam es dann nie.«
»Was geschah?«
»Er wurde nicht verurteilt. Er wurde nicht einmal vor Gericht gestellt. Das Verfahren wurde eingestellt. Karlis, der überhaupt nichts mehr verstand, verlangte selbstverständlich, daß es zu einer Verhandlung kommen müsse. Aber eines Tages wurde der Mann aus der Untersuchungshaft entlassen und alle Protokolle für geheim erklärt. Karlis wurde angewiesen, die ganze Sache zu vergessen, was ihm sein direkter Vorgesetzter mitteilte. Ich erinnere mich noch an seinen Namen. Er hieß Amtmanis. Karlis war davon überzeugt, daß Amtmanis |196| selbst seine Hand schützend über den Verbrecher gehalten hatte, vielleicht auch in die Sache verwickelt war und den Verdienst mit ihm geteilt hatte. Die Geschichte nahm ihn sehr mit.«
Wallander dachte plötzlich an jenen stürmischen Abend zurück, an dem der kurzsichtige, kleine Major auf seinem Sofa gesessen hatte.
Ich bin religiös,
hatte er gesagt.
Ich glaube nicht an einen Gott. Aber ich bin trotzdem religiös.
»Was geschah dann?« unterbrach er seine eigenen Gedanken.
»Ich kannte Karlis zu dieser Zeit noch nicht, aber ich glaube, er machte eine schwere Krise durch. Vielleicht dachte er darüber nach, in den Westen zu fliehen? Vielleicht dachte er daran, seine Arbeit als Polizist aufzugeben? Ich glaube, daß im Grunde ich es war, die ihn davon überzeugt hat, seine Arbeit fortführen zu müssen.«
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
Sie sah ihn fragend an.
»Ist das wichtig?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber ich muß meine Fragen stellen dürfen, wenn ich Ihnen helfen können soll.«
»Wie trifft man sich«, antwortete sie mit einem wehmütigen Lächeln. »Durch Freunde. Ich hatte von einem jungen Polizeioffizier gehört, der nicht so war wie die anderen. Er war nicht besonders attraktiv, aber ich verliebte mich gleich am ersten Abend in ihn.«
»Wie ging es weiter? Sie heirateten? Er fuhr mit seiner Arbeit fort?«
»Er war Hauptmann, als wir uns trafen. Aber er wurde unerwartet schnell befördert. Jedesmal, wenn er einen höheren Dienstgrad erklommen hatte, kam er nach Hause und sagte, es wäre wieder ein unsichtbarer Trauerflor an seine Schulterklappe geheftet worden. Er versuchte weiterhin Beweise dafür zu finden, daß es Verbindungen zwischen der politischen Führung des Landes, der Polizei und verschiedenen kriminellen |197| Organisationen gibt. Er hatte sich entschlossen, alle Kontakte zu dokumentieren, und sprach einmal davon, daß ein unsichtbares Ministerium in Lettland existiere, das nur die Aufgabe habe, alle Kontakte zwischen der Unterwelt und den beteiligten Politikern und Polizisten zu koordinieren. Vor etwa drei Jahren habe ich ihn dann das erste Mal das Wort Verschwörung benutzen hören. Sie dürfen nicht vergessen, er spürte damals, daß er mit seiner Arbeit nicht mehr alleinstand. Die Perestrojka in Moskau hatte auch uns erreicht, und wir trafen uns immer öfter, um offen darüber zu diskutieren, was in unserem Land zu tun sei.«
»Hieß sein Chef zu dieser Zeit immer noch Amtmanis?«
»Amtmanis war gestorben. Murniers und Putnis waren bereits seine direkten Vorgesetzten geworden. Er mißtraute beiden, weil er sicher war, daß einer von ihnen in die Verschwörung verwickelt oder vielleicht
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