Wallander 02 - Hunde von Riga
unhöflich, Sie heimreisen zu lassen, ohne Ihnen ein Geschenk zu überreichen oder ein paar Gläser miteinander zu trinken.«
Wallander dachte an den kommenden Abend, an Inese, die im Nachtclub des Hotels als seine Geliebte auf ihn warten würde, daran, daß er Baiba Liepa treffen mußte.
»Lassen Sie uns das Ganze doch lieber schlicht abschließen«, sagte er. »Immerhin sind wir Polizisten und keine Schauspieler, die eine geglückte Premiere feiern. Außerdem habe ich mich für heute abend bereits verabredet. Eine junge Dame hat versprochen, mir Gesellschaft zu leisten.«
Murniers lächelte und zog eine Flasche Wodka hervor, die in einer der Schreibtischschubladen lag.
»Da möchten wir natürlich nicht im Wege stehen«, sagte er. »Lassen Sie uns also jetzt miteinander anstoßen.«
Sie haben es eilig, dachte Wallander. Sie wissen gar nicht, wie sie mich schnell genug außer Landes bekommen sollen.
Sie tranken und prosteten sich zu. Wallander erhob das Glas auf die beiden Obersten und fragte sich, ob er jemals erfahren würde, wer von ihnen jenen Befehl unterzeichnet hatte, der zu der Ermordung des Majors geführt hatte. Es war das einzige, worüber er noch im Unklaren war, das einzige, was er nicht herausfinden konnte. Putnis oder Murniers? Aber er wußte jetzt, daß Major Liepa recht gehabt hatte. Seine heimlichen Ermittlungen hatten ihn zu einer Wahrheit geführt, die er mit ins Grab genommen hatte, falls er keine Aufzeichnungen hinterlassen hatte. Diese Aufzeichnungen mußte Baiba Liepa finden, wenn sie herausbekommen wollte, wer ihren Mann ermordet hatte, ob Murniers oder Putnis verantwortlich war. |228| Dann würde sie wissen, warum Upitis in einem letzten verzweifelten, vielleicht auch schon verwirrten Versuch ein falsches Geständnis abgelegt hatte, um herauszufinden, welcher der Obersten der Schuldige war.
Ich stoße mit einem der übelsten Verbrecher an, in dessen Nähe ich jemals gekommen bin, dachte Wallander. Ich weiß nur nicht, welcher von beiden es ist.
»Wir werden Sie morgen natürlich zum Flughafen begleiten«, sagte Putnis, bevor sie sich trennten.
Wallander verließ das Polizeihauptquartier und dachte, daß er wie ein eben freigelassener Häftling wirken mußte, wie er da einige Schritte hinter Sergeant Zids herging. Sie fuhren durch die Stadt, und der Sergeant zeigte, erzählte und beschrieb. Wallander schaute, nickte und murmelte »ja« und »sehr schön«, wenn es ihm passend erschien. Aber mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Er dachte an Upitis und überlegte, welche Wahl er eigentlich gehabt hatte.
Was hatte Murniers oder Putnis ihm ins Ohr geflüstert?
Welche Drohungen hatten sie aus ihren Katalogen ausgewählt, deren Umfang sich Wallander kaum vorzustellen wagte?
Vielleicht hatte Upitis ja seine eigene Baiba, vielleicht hatte er Kinder. Aber erschoß man tatsächlich Kinder in einem Land wie Lettland? Oder reichte es, damit zu drohen, daß ihnen jede Zukunft verbaut sein würde, schon verloren, ehe sie begonnen hatte?
Herrschte der totalitäre Staat, indem er Lebensläufe
verbaute?
Welche Wahl hatte Upitis also gehabt?
Hatte er sein eigenes Leben gerettet, das seiner Familie, das Baiba Liepas, indem er die Rolle des Mörders und Schwerverbrechers spielte? Wallander versuchte, sich an das wenige zu erinnern, was er über die sogenannten Schauprozesse wußte, die sich wie eine grausame Kette unvorstellbaren Unrechts durch die Geschichte der kommunistischen Staaten zogen. |229| Dort reihte sich nun auch Upitis ein, und Wallander dachte, daß es ihm immer unbegreiflich bleiben würde, wie Menschen dazu gezwungen werden konnten, Verbrechen zu gestehen, derer sie niemals fähig gewesen wären. Zu gestehen, daß man kaltblütig und vorsätzlich seinen besten Freund ermordet hatte, den Menschen, der den Zukunftstraum verwirklichen wollte, für den man auch selbst lebte.
Ich werde es nie erfahren, dachte er.
Ich werde niemals erfahren, was geschehen ist, und vielleicht ist es auch gut so, weil ich es doch nie verstehen würde. Aber Baiba Liepa wird verstehen, sie muß es erfahren. Jemand trägt das Testament des Majors in sich, seine Ermittlung ist nicht tot. Sie lebt, aber sie ist geächtet und verbirgt sich an einem Ort, an dem nicht nur der Geist des Majors über sie wacht.
Ich suche nach dem
Wächter
, und das muß Baiba Liepa erfahren. Irgendwo verbirgt sich ein Geheimnis, das nicht verloren gehen darf. So geschickt versteckt, daß es nur von ihr gefunden und gedeutet
Weitere Kostenlose Bücher