Wallander 02 - Hunde von Riga
Geliebte in Riga. Aber sie hieß nicht Inese.
Er antwortete nicht, und sie verlangte auch keine Antwort von ihm. Sie schien vielmehr überzeugt zu sein, daß er zurückkehren würde. Inese betrat den Raum, und Baiba Liepa schien plötzlich über den Schock, daß Upitis ein falsches Geständnis abgelegt hatte, hinweggekommen zu sein.
»In unserem Land kann man töten, wenn man redet«, sagte sie. »Man kann töten, wenn man schweigt oder etwas Falsches sagt oder mit den falschen Menschen spricht. Aber Upitis ist |239| stark. Er weiß, daß wir ihn nicht im Stich lassen werden. Er weiß, daß wir seinem Geständnis nicht glauben werden. Deshalb werden wir am Ende auch siegen.«
»Siegen?«
»Wir verlangen nur das Wahre«, sagte sie. »Wir verlangen nur das Anständige, das Einfache. Die Freiheit, in der Freiheit zu leben, die wir selbst wählen.«
»Das sind zu große Ziele für mich«, sagte Wallander. »Ich will wissen, wer deinen Mann umgebracht hat. Ich will wissen, warum an der schwedischen Küste zwei tote Männer an Land trieben.«
»Komm zurück, und ich werde es dir erklären«, entgegnete Baiba Liepa. »Und nicht nur ich, sondern auch Inese.«
»Ich weiß nicht«, antwortete Wallander.
Baiba Liepa sah ihn an.
»Du läßt niemanden im Stich«, sagte sie. »Dann hätte sich Karlis geirrt. Und er hat sich niemals geirrt.«
»Es geht einfach nicht«, wiederholte Wallander. »Wenn ich zurückkäme, würden es die Obersten sofort erfahren. Ich bräuchte eine neue Identität, einen anderen Paß.«
»Das läßt sich machen«, antwortete Baiba Liepa eifrig. »Nur ich werde wissen, daß du kommst.«
»Ich bin Polizist«, sagte Wallander. »Ich kann meine Existenz nicht dadurch aufs Spiel setzen, daß ich mit gefälschten Papieren durch die Welt reise.«
Im gleichen Augenblick bereute er es schon. Er sah Baiba Liepa in die Augen, und er sah das Gesicht des toten Majors.
»Ja«, sagte er langsam. »Ich werde wiederkommen.«
Mitternacht zog vorüber. Wallander versuchte mit ihr einen Hinweis zu finden, wo der Major seine Beweise versteckt haben könnte. Ihre entschlossene Konzentration war unerschütterlich. Aber sie fanden keinen Anhaltspunkt. Am Ende verstummten sie.
Wallander dachte an die Hunde, die ihn irgendwo dort draußen in der Dunkelheit bewachten. Die Hunde der Obersten, |240| die nie in ihrer Wachsamkeit nachließen. Die Situation erschien ihm unwirklich, er ließ sich in eine Verschwörung hineinziehen, deren Ziel es war, ihn nach Riga zurückzuschleusen und ihn im verborgenen ermitteln zu lassen. Er würde ein Nicht-Polizist in einem ihm unbekannten Land sein, und er würde der Nicht-Polizist sein, der ein Verbrechen aufklären wollte, das von allzu vielen bereits als eine abgeschlossene Angelegenheit betrachtet wurde. Er sah das Wahnwitzige in diesem Unterfangen, aber er konnte Baiba Liepas Gesicht nicht aus den Augen lassen, und ihre Stimme war so überzeugend, daß er ihr nicht widerstehen konnte.
Es war fast zwei, als Inese ihnen sagte, daß sie aufbrechen mußten. Sie ließ ihn mit Baiba Liepa allein, und sie nahmen schweigend Abschied voneinander.
»Wir haben Freunde in Schweden«, sagte sie schließlich. »Sie werden Kontakt zu dir aufnehmen. Durch sie wird deine Rückkehr organisiert werden.«
Dann beugte sie sich schnell vor und küßte ihn auf die Wange.
Inese fuhr ihn zum Hotel zurück. Als sie zur Brücke kamen, nickte sie in Richtung Rückspiegel.
»Jetzt folgen sie uns. Wir müssen verliebt aussehen. Es muß uns schwerfallen, uns vor dem Hotel zu verabschieden.«
»Ich werde mein möglichstes tun«, antwortete Wallander. »Vielleicht sollte ich versuchen, dich auf mein Zimmer hinaufzulocken.«
Sie lachte.
»Ich bin ein anständiges Mädchen«, sagte sie. »Aber wenn du zurückkommst, könnte es noch dazu kommen.«
Sie verließ ihn, und er blieb einen Moment lang in der Kälte stehen und versuchte, den Eindruck zu vermitteln, als fühle er sich vor Sehnsucht nach ihr verloren.
|241| Am nächsten Tag reiste er heim, mit der Aeroflot über Helsinki.
Die beiden Obersten lotsten ihn durch die Kontrollen hindurch und nahmen herzlich Abschied von ihm.
Einer von ihnen hat den Major ermordet, dachte Wallander.
Oder waren es vielleicht beide? Wie soll ein einfacher Polizeibeamter aus Ystad herausfinden können, was hier wirklich passiert ist?
Am späten Abend war er zu Hause und schloß die Tür zu seiner Wohnung in der Mariagatan auf.
Da hatte bereits alles begonnen,
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