Wallander 02 - Hunde von Riga
Trelleborg arbeiten, aber nur vielleicht.«
Sein Vater sah ihn lange an, ehe er antwortete.
»Es ist nie zu spät, um doch noch vernünftig zu werden«, sagte er schließlich. »Du wirst nur bereuen, daß du so lange mit deiner Entscheidung gewartet hast.«
»Ich sagte vielleicht, Vater. Ich habe nicht gesagt, daß es sicher ist.«
Aber sein Vater hörte ihn schon nicht mehr. Er war zu seiner Staffelei und dem Schnabel des Auerhahns zurückgekehrt. Wallander setzte sich auf einen alten Schlitten und beobachtete ihn eine Weile schweigend. Dann fuhr er nach Hause. Er überlegte, daß er niemanden hatte, mit dem er reden konnte. Im Alter von dreiundvierzig Jahren vermißte er einen vertrauten |247| Menschen an seiner Seite. Als Rydberg starb, war er einsamer geworden, als er sich hatte vorstellen können. Die einzige, die er jetzt noch hatte, war Linda. Zu Mona, ihrer Mutter und seiner geschiedenen Frau, hatte er keinen Kontakt mehr. Sie war für ihn eine Fremde geworden, und er wußte fast nichts über ihr Leben in Malmö.
Er fuhr an der Abfahrt nach Kåseberga vorbei und überlegte, ob er Göran Boman bei der Kristianstader Polizei einen Besuch abstatten sollte. Mit ihm könnte er vielleicht über all das reden, was geschehen war.
Aber er fuhr nicht nach Kristianstad. Nachdem er Björk Bericht erstattet hatte, kehrte er an seine Arbeit zurück. Martinsson und die anderen Kollegen stellten die üblichen Fragen bei einer Tasse Kaffee in der Kantine, und ihm war bald klar, daß eigentlich keiner wirklich an dem interessiert war, was er zu erzählen hatte. Er schickte seine Bewerbung an die Fabrik in Trelleborg und stellte in dem vergeblichen Versuch, wieder Lust an seiner Arbeit zu bekommen, die Möbel in seinem Büro um. Björk, der seine geistige Abwesenheit bemerkt zu haben schien, machte einen gutgemeinten Versuch, ihn aufzumuntern, indem er ihn bat, einen Vortrag für den Rotaryclub der Stadt zu übernehmen. Er war einverstanden und hielt bei einem Mittagessen im Hotel Continental einen mißglückten Vortrag über moderne technische Hilfsmittel bei der Polizeiarbeit. Er erinnerte sich schon eine Sekunde, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, nicht mehr an das Gesagte.
Eines Morgens, nach dem Aufwachen, glaubte er krank zu sein.
Er ging zum Polizeiarzt und ließ sich gründlich untersuchen. Der Arzt erklärte, er sei gesund, riet ihm jedoch, nach wie vor auf sein Gewicht zu achten. Er war am Mittwoch aus Riga zurückgekehrt, und am Samstagabend fuhr er nach Åhus, aß im Restaurant und ging tanzen. Nach ein paar Tänzen lud ihn Ellen, eine Krankengymnastin aus Kristianstad, an ihren Tisch ein. Aber die ganze Zeit sah er Baiba Liepas Gesicht |248| vor sich, sie folgte ihm wie ein Schatten, und er brach frühzeitig auf. Er fuhr die Küstenstraße entlang und hielt an dem verlassenen Platz, auf dem jeden Sommer der Jahrmarkt von Kivik stattfand. Dort war er im Jahr zuvor mit der Pistole in der Hand wie ein Wahnsinniger gerannt, um einen Mörder zu stellen. Jetzt war der Platz von einer dünnen Schneedecke überzogen, der Vollmond schien, und er sah wieder Baiba Liepa, unfähig, sie aus seinen Gedanken zu vertreiben. Er fuhr nach Ystad weiter und betrank sich hemmungslos in seiner Wohnung. Er drehte die Musik so laut auf, daß die Nachbarn an die Wände klopften.
Als er am Sonntagmorgen aufwachte, hatte er Herzflattern, und der Tag war ein langes, zähes Warten auf etwas, von dem er nicht wußte, was es war.
Am Montag kam der Brief. Er saß am Küchentisch und las die schwungvolle Handschrift. Der Brief war von jemandem unterzeichnet, der sich Joseph Lippman nannte.
Sie sind ein Freund unseres Landes,
schrieb Joseph Lippman .
Aus Riga hat man uns über Ihre großen Verdienste in Kenntnis gesetzt. In Kürze werden Sie von uns Näheres über Ihre Rückkehr erfahren. Joseph Lippman.
Wallander fragte sich, worin seine großen Verdienste bestanden. Und wer waren »wir«, die wieder von sich hören lassen wollten?
Der Brief, der so kurz und knapp gehalten war, ärgerte ihn. Hatte er etwa kein Mitspracherecht mehr? Er hatte sich überhaupt noch nicht entschlossen, in den geheimen Dienst Unsichtbarer zu treten. Seine Angst und seine Zweifel waren stärker als seine Entschlossenheit und sein Wille. Er wollte Baiba Liepa wiedersehen, das war richtig, aber er mißtraute seinen Motiven und fand, daß er sich wie ein unglücklich verliebter Teenager benahm.
Aber als er am Dienstagmorgen aufwachte, hatte er sich
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