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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wie ein Traum zu verblassen, und er dachte, daß er Baiba Liepa niemals wiedersehen würde. Sie würde ihren toten Mann beweinen müssen, ohne jemals zu erfahren, was wirklich geschehen war.
    Er trank ein Glas von dem Whisky, den er im Flugzeug gekauft hatte.
    Bevor er sich hinlegte, saß er noch lange da und lauschte Maria Callas’ Gesang.
    Er war müde und voller Sorge.
    Er fragte sich, was geschehen würde.

|242| 14
    Sechs Tage nach seiner Rückkehr erwartete ihn der Brief.
    Er fand ihn hinter der Tür, als er von einem langen und anstrengenden Tag im Polizeipräsidium nach Hause kam. Den ganzen Nachmittag über war schwerer, nasser Schnee gefallen, und er hatte lange im Treppenhaus gestanden und sich gründlich die Füße abgetreten, bevor er die Tür aufschloß.
    Später erschien es ihm, als habe er sich bis zuletzt dagegen wehren wollen, daß sie zu ihm Verbindung aufnahmen. In seinem Innersten hatte er die ganze Zeit gewußt, daß sie es tun würden, aber er wollte es aufschieben, weil er sich noch nicht bereit fühlte.
    Es war ein gewöhnliches braunes Kuvert, das auf der Fußmatte lag. Zuerst hatte er es für einen Werbeprospekt gehalten, da auf der Vorderseite der Name einer Firma aufgedruckt war. Er legte es auf die Garderobe und vergaß es. Erst als er ein altes Fischgratin, das schon viel zu lange im Gefrierfach gelegen hatte, gegessen hatte, fiel ihm der Brief wieder ein, und er holte ihn. »Lippmans Blumen« stand auf dem Kuvert, und er dachte, daß es für Werbeprospekte einer Gärtnerei eine merkwürdige Jahreszeit war. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, es ungeöffnet in den Mülleimer zu werfen, aber er brachte es nicht fertig, selbst die nichtssagendste Reklame wegzuwerfen, ohne sie zumindest durchgeblättert zu haben. Er wußte, daß dies eine schlechte Angewohnheit war, die sein Beruf mit sich brachte. Irgend etwas könnte zwischen den farbenfrohen Broschüren versteckt liegen. Ihm kam oft der Gedanke, daß er wie ein Mann lebte, der gezwungen war, |243| sämtliche ihm in den Weg kommenden Steine umzudrehen. Er mußte immer wissen, was darunter war.
    Als er das Kuvert aufriß und sah, daß es einen handgeschriebenen Brief enthielt, wußte er, daß sie Verbindung zu ihm aufgenommen hatten.
    Er ließ den Brief auf dem Küchentisch liegen und machte sich eine Tasse Kaffee. Er hatte das Gefühl, sich Zeit lassen zu müssen, bevor er las, was sie ihm schrieben, und er wußte, daß Baiba Liepa der Grund dafür war.
    Als er vor einer Woche in Arlanda aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte er ein unklares, trauriges Gefühl in sich verspürt. Aber er war auch so erleichtert, nicht mehr in einem Land zu sein, in dem er ständig überwacht wurde, daß er in einem Anfall ungewohnter Spontaneität die Grenzbeamtin ansprach, als er seinen Paß unter dem Glasfenster hindurchschob. »Es ist schön, wieder zu Hause zu sein«, hatte er gesagt, aber sie hatte ihm nur einen flüchtigen, abweisenden Blick zugeworfen und den Paß zurückgeschoben, ohne ihn auch nur aufgeschlagen zu haben.
    Das ist Schweden, hatte er gedacht. Nach außen hin ist alles hell und freundlich, und unsere Flughäfen sind so gebaut, daß kein Schmutz, keine Schatten sich festsetzen können. Hier ist alles sichtbar. Alles, was es zu sein scheint. Die im Grundgesetz festgeschriebene Geborgenheit ist unsere Religion und kümmerliche nationale Hoffnung. Sie läßt die Welt wissen, daß es bei uns ein Verbrechen ist, zu verhungern. Auf der anderen Seite aber reden wir nicht mit Fremden, wenn es nicht sein muß, denn das Fremde kann uns Böses antun, unsere Ecken verschmutzen, unsere Neonröhren verdrecken. Wir haben niemals ein Imperium aufgebaut und brauchten es daher auch niemals einstürzen zu sehen. Aber wir redeten uns ein, daß wir die beste aller Welten geschaffen hatten, selbst wenn sie klein war. Wir waren die zuverlässigen Wächter des Paradieses, und jetzt, da das Fest vorbei ist, rächen wir uns durch die unfreundlichsten Paßkontrolleure der Welt.
    |244| Seine Erleichterung hatte sich augenblicklich in Niedergeschlagenheit verwandelt. In Kurt Wallanders Welt, diesem heruntergekommenen oder teilweise abgeschafften Paradies, war kein Platz für Baiba Liepa. Er konnte sie sich hier nicht vorstellen, in all diesem Licht, mit all diesen einwandfrei funktionierenden und gerade deshalb so trügerischen Neonröhren. Trotzdem nagte in ihm bereits schmerzhaft die Sehnsucht nach ihr. Als er seine Tasche durch den langen, einem

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