Wallander 03 - Die weisse Löwin
davon, was in der Diskothek geschehen war, die man mit Tränengasgranaten angegriffen hatte. Alles deutete darauf hin, daß es sich entweder um schweres Rowdytum oder um einen Racheakt gehandelt hatte. Auch hier gab es keine sicheren Spuren. Zum Schluß hatte sich Wallander nach dem Kopfgeld erkundigt. Für ihn war das eine ebenso neue wie erschreckende Entwicklung, die sich in den letzten Jahren vollzogen hatte und nur in den drei größten Städten des Landes zu beobachten war. Aber er hegte keine Illusionen. Bald würden sie auch in der Gegend um Ystad damit leben müssen, daß zwischen einem Auftraggeber und einem Mörder ein Vertrag geschlossen wurde, Menschen umzubringen. Das Ganze war eine geschäftliche Transaktion. Das endgültige Zeichen dafür, daß |237| die Brutalisierung der Gesellschaft unvorstellbare Ausmaße erreicht hatte.
»Einige unserer Leute sind unterwegs, um herauszubekommen, worum es eigentlich geht«, sagte Lovén, als sie Norra Kyrkogarden an der Einfahrt nach Stockholm passierten.
»Ich kriege die Fäden nicht zusammen«, sagte Wallander. »Wie im vergangenen Jahr, als dieses Schlauchboot an Land trieb. Da paßte auch nichts zusammen.«
»Wir müssen auf unsere Techniker hoffen. Vielleicht holen sie aus den Kugeln etwas heraus.«
Wallander tippte auf seine Jackentasche. Er hatte die Kugel mit, die Louise Åkerblom getötet hatte.
Sie fuhren in die Tiefgarage des Polizeigebäudes und nahmen dann den Lift direkt hinauf zur Kommandozentrale, von wo aus die Jagd nach Tengblads Mörder organisiert wurde.
Als Wallander den Raum betrat, erschrak er über die Anzahl der Polizisten. Über fünfzehn Personen sahen ihn an, und er mußte an den Unterschied zu Ystad denken.
Lovén machte ihn bekannt, und Wallander nahm ein Murmeln als Begrüßung entgegen. Ein kleiner Mann in den Fünfzigern mit schütterem Haar stellte sich als Stenberg vor, der Leiter der Ermittlungen.
Wallander fühlte sich plötzlich nervös und schlecht vorbereitet. Außerdem fragte er sich, ob sie seinen schonischen Dialekt wohl verstehen würden.
Aber er setzte sich an den Tisch und berichtete über alles, was geschehen war. Er mußte viele Fragen beantworten und merkte, daß er es mit erfahrenen Kriminalisten zu tun hatte, die sich schnell in die Situation hineinfanden, Schwachpunkte der Ermittlung erkannten und die richtigen Auskünfte einholten.
Das Treffen zog sich hin, dauerte über zwei Stunden. Schließlich, als allgemeine Ermüdung sich im Raum auszubreiten begann und Wallander bereits um Tabletten gegen seine Kopfschmerzen hatte bitten müssen, lieferte Stenberg eine Zusammenfassung.
»Wir brauchen schnell das Resultat der Munitionsanalyse«, schloß er. »Wenn es einen Zusammenhang bei den Waffen gibt, |238| die angewendet wurden, ist es uns auf alle Fälle gelungen, das Ganze noch unklarer zu machen.«
Einige der Polizisten verzogen den Mund. Die meisten aber saßen da und starrten vor sich hin.
Es war fast acht Uhr, als Wallander das Polizeigebäude auf Kungsholmen verließ. Lovén fuhr ihn zu dem Hotel in der Vasagata.
»Kommst du zurecht?« fragte er, als Wallander ausstieg.
»Meine Tochter wohnt in der Stadt. Wie hieß übrigens diese Diskothek, in die jemand Tränengas geworfen hat?«
»Aurora. Aber ich glaube kaum, daß das ein Lokal nach deinem Geschmack ist.«
»Bestimmt nicht.«
Lovén nickte und fuhr los. Wallander holte sich den Zimmerschlüssel und widerstand der Versuchung, eine Bar in der Nähe des Hotels aufzusuchen. Die Erinnerung an den Samstagabend in Ystad war noch allzu lebendig. Er nahm den Fahrstuhl hinauf zu seinem Zimmer, duschte und wechselte das Hemd. Nachdem er sich eine Stunde auf dem Bett ausgeruht hatte, suchte er sich die Adresse der Diskothek Aurora aus dem Telefonbuch. Viertel vor neun verließ er das Hotel. Er hatte gezögert, seine Tochter anzurufen, bevor er sich auf den Weg machte. Schließlich hatte er sich entschieden, damit noch zu warten. Der Besuch in der Diskothek würde wahrscheinlich nicht allzu lange dauern. Linda ging außerdem für gewöhnlich spät ins Bett. Er lief zum Bahnhof hinüber, stieg in ein Taxi und gab eine Adresse in Söder an. Gedankenvoll betrachtete er die Stadt, durch die sie fuhren. Irgendwo hier lebte seine Tochter Linda, irgendwo auch seine Schwester Kristina. Versteckt zwischen den Häusern und Menschen gab es vermutlich auch einen Afrikaner, dem man den linken Zeigefinger abgehauen hatte.
Er fühlte ein plötzliches Unbehagen. Es
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