Wallander 03 - Die weisse Löwin
die Wirkung des Alkohols.
Etwas später ging Wallander in den Speisesaal und bestellte Vorspeise, Hauptgericht und Dessert.
Zum Essen trank er eine Flasche Wein, zum Kaffee zwei Glas Kognak.
Als er das Restaurant verließ, war es halb elf. Er war ordentlich angetrunken, und es kam ihm nicht in den Sinn, nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen.
Er lief zur Taxistation auf dem Busplatz und ließ sich in das einzige Tanzlokal der Stadt fahren. Dort waren unerwartet viele Leute, und er hatte gewisse Schwierigkeiten, sich an einem der Bartische Platz zu verschaffen. Dann trank er Whisky und tanzte. Er war kein schlechter Tänzer und betrat den Tanzboden immer mit einer gewissen Sicherheit. Die einheimische Schlagermusik machte ihn sentimental. Er verliebte sich augenblicklich in alle Frauen, mit denen er tanzte. Mit allen stellte er sich eine Fortsetzung zu Hause in seiner Wohnung vor. Aber die Illusion verging, als ihm plötzlich schlecht wurde und er es gerade noch schaffte, das Lokal zu verlassen, bevor er sich erbrechen mußte. Er ging nicht wieder hinein, sondern schwankte in die Stadt zurück. Als er in seine Wohnung kam, riß er sich alle Kleider vom Leibe und stellte sich nackt vor den Korridorspiegel.
»Kurt Wallander«, sagte er laut. »Hier hast du dein Leben.«
Dann beschloß er, Baiba Liepa in Riga anzurufen. Es war nach zwei, und er wußte, daß er es lieber nicht tun sollte. Aber er ließ das Telefon klingeln, und schließlich nahm sie ab.
Plötzlich wußte er nicht, was er sagen sollte. Er fand auch nicht |233| die englischen Worte, die er brauchte. Ganz offensichtlich hatte er sie geweckt, und sie war erschrocken, mitten in der Nacht einen Telefonanruf zu erhalten.
Dann sagte er, daß er sie liebte. Sie begriff erst nicht, was er meinte. Aber als sie verstand, merkte sie auch, daß er betrunken war, und Wallander spürte, daß der Anruf ein grober Fehler war. Er entschuldigte sich und legte auf. Dann ging er direkt in die Küche und nahm eine halbe Flasche Wodka aus dem Kühlschrank. Obwohl ihm immer noch übel war, zwang er sich, den Schnaps auszutrinken.
Im Morgengrauen erwachte er auf dem Sofa im Wohnzimmer. Der Kater war heftig. Was ihm jedoch die meisten Kopfschmerzen bereitete, war das Telefongespräch mit Baiba Liepa.
Er stöhnte bei der Erinnerung daran, schwankte ins Schlafzimmer und kroch ins Bett. Dann zwang er sich, diese Gedanken abzuschalten. Erst am späten Nachmittag stand er auf und kochte Kaffee. Er setzte sich vor den Fernseher und schaute sich ein Programm nach dem anderen an. Er versuchte erst gar nicht, seinen Vater oder seine Tochter anzurufen. Gegen sieben briet er sich ein Fischfilet, etwas anderes war nicht im Kühlschrank. Dann kehrte er zum Fernseher zurück. Um jeden Preis versuchte er zu vermeiden, an das nächtliche Gespräch zu denken.
Um elf nahm er eine Schlaftablette und zog sich die Decke über den Kopf.
Morgen ist alles besser, dachte er. Dann werde ich sie anrufen und alles erklären. Oder vielleicht einen Brief schreiben. Oder etwas anderes.
Der Montag, es war der 4. Mai, verlief jedoch ganz anders, als Wallander es sich vorgestellt hatte.
Es war, als würde alles auf einmal geschehen.
Kurz nach halb acht hatte er kaum sein Zimmer betreten, als das Telefon klingelte.
Es war Lovén in Stockholm.
»In der Stadt gibt es ein Gerücht«, sagte er. »Angeblich ist auf einen Afrikaner ein Kopfgeld ausgesetzt worden. Wichtigstes Kennzeichen: Er trägt einen Verband um die linke Hand.«
|234| Es dauerte einen Augenblick, bis Wallander begriff, wovon Lovén sprach. »Himmel und Hölle«, sagte er.
»Dachte ich mir, daß du so reagierst. Dann wollte ich noch wissen, wann du kommst, damit wir dich abholen können.«
»Das weiß ich noch nicht. Aber sicher nicht vor heute nachmittag. Björk, du erinnerst dich vielleicht an ihn, hat Gallensteine. Ich muß hier erst Ordnung schaffen. Wenn es feststeht, ruf ich natürlich sofort an.«
»Wir warten.«
Wallander hatte kaum aufgelegt, als es wieder klingelte. Gleichzeitig kam Martinsson herein und wedelte aufgeregt mit einem Papier. Wallander zeigte auf den Besucherstuhl und nahm den Hörer ab.
Es war der Obduzent in Malmö, Högberg, der die vorläufige rechtsmedizinische Untersuchung von Louise Åkerbloms Leiche abgeschlossen hatte. Wallander hatte schon mit ihm zu tun gehabt und wußte, daß der Mann gründlich arbeitete. Er zog sich einen Notizblock heran und winkte Martinsson, ihm einen Stift zu
Weitere Kostenlose Bücher