Wallander 03 - Die weisse Löwin
Unklarheiten.
Schließlich blieb noch das Wichtigste. Georg Scheepers las erneut den Abschnitt, in dem sich van Heerden mittels seiner Analysen dem Zentrum der Verschwörung näherte. Es war von einem Komitee die Rede, einem locker zusammengesetzten Kreis von Menschen, Repräsentanten der dominierenden Machtgruppen unter den Buren in Südafrika. Aber van Heerden hatte keine Namen genannt. Die einzigen, die er kannte, waren Jan Kleyn und Franz Malan.
|361| Georg Scheepers verstand nun, daß mit dem Chamäleon Jan Kleyn gemeint war. Den Decknamen für Franz Malan dagegen fand er nicht.
Ihm war klar, daß van Heerden diese beiden als die Hauptakteure angesehen hatte. Indem er seine Aufmerksamkeit auf die zwei ihm bekannten konzentrierte, glaubte er die übrigen Mitglieder des Komitees sowie dessen Aufbau und Ziele ermitteln zu können.
Staatsstreich, schrieb van Heerden am Ende des letzten Textes, datiert zwei Tage vor seiner Ermordung. Bürgerkrieg? Chaos? Er beantwortete die Fragen nicht. Er stellte sie nur.
Aber es gab noch eine Notiz, vom selben Tag, dem Sonntag, bevor er ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Nächste Woche, schrieb van Heerden. Geh weiter. Bezuidenhout 559.
Es ist, als ob er mir aus dem Grab sagen will, was zu tun ist, dachte Georg Scheepers. Das hatte er sich vorgenommen. Nun muß ich es an seiner Stelle tun. Aber was? Bezuidenhout ist ein Stadtteil von Johannesburg, die Ziffern bedeuten sicher die Hausnummer.
Er merkte plötzlich, daß er sehr müde und unruhig war. Die Verantwortung, die ihm übertragen worden war, wog schwerer, als er es sich hatte vorstellen können.
Er schaltete den Computer aus und schloß die Diskette in seinem Dokumentenschrank ein. Es war bereits neun Uhr. Draußen war es dunkel. Die Polizeisirenen heulten ununterbrochen, wie Hyänen, unsichtbar wachend in der Nacht.
Er verließ das menschenleere Gebäude der Anklagebehörde und ging zu seinem Wagen. Fast mechanisch fuhr er in Richtung der östlichen Außenbezirke der Stadt, nach Bezuidenhout. Er brauchte nicht lange, um sich zu orientieren. Nummer 559 war ein Haus in unmittelbarer Nähe des Parks, der Bezuidenhout den Namen gegeben hatte. Er hielt am Straßenrand und schaltete Motor und Scheinwerfer ab. Das Haus war aus weißen glasierten Ziegeln errichtet. Hinter den geschlossenen Gardinen brannte Licht. Er sah, daß in der Einfahrt ein Auto geparkt war.
Er war zu müde und zu nervös, um darüber nachzudenken, |362| wie er weiter vorgehen sollte. Zuerst mußte er diesen langen Tag in seinem Bewußtsein verarbeiten. Er dachte an die Löwin, die reglos am Flußbett gelegen hatte. Wie sie sich erhoben hatte und auf sie zugekommen war. Das Raubtier ist in uns, dachte er. Er begriff plötzlich, was das Wichtigste war.
Die Ermordung Nelson Mandelas wäre das Schlimmste, was zur Zeit im Land passieren konnte. Die Konsequenzen wären furchtbar. Alles, was gerade im Entstehen begriffen war, ein noch zerbrechlicher Wille zu einer Lösung zwischen Weißen und Schwarzen, würde in Bruchteilen einer Sekunde zunichte werden. Die Dämme würden brechen, die Sintflut das Land überschwemmen.
Eine Anzahl Menschen wünschte diese Sintflut herbei. Sie hatten ein Komitee gebildet, um die Dämme zu brechen.
So weit kam er in seinen Gedanken. Da sah er einen Mann aus dem Haus kommen und in das Auto steigen. Gleichzeitig wurde eine Gardine beiseite gezogen. Er bemerkte eine schwarze Frau und direkt hinter ihr noch eine zweite, jüngere. Die ältere Frau winkte, die hinter ihr blieb reglos stehen. Er konnte den Mann im Wagen nicht erkennen. Es war zu dunkel. Dennoch wußte er, daß es Jan Kleyn war. Er duckte sich auf dem Sitz, als das Auto vorüberfuhr. Als er sich wieder aufsetzte, war die Gardine zugezogen.
Er runzelte die Stirn. Zwei schwarze Frauen? Jan Kleyn kam aus ihrem Haus. Das Chamäleon, die Mutter und das Kind? Er sah den Zusammenhang nicht. Aber er hatte keinen Anlaß, van Heerden zu mißtrauen. Wenn er geschrieben hatte, daß es wichtig war, dann galt das. Van Heerden war einem Geheimnis auf der Spur gewesen. Diese Spur muß ich weiterverfolgen.
Am nächsten Tag rief er Präsident de Klerks Kanzlei an und bat um eine dringende Unterredung. Er erhielt den Bescheid, der Präsident könne ihn um zehn Uhr abends empfangen. Tagsüber stellte er einen Bericht über seine Erkenntnisse zusammen. Er war äußerst nervös, als er im Vorraum des Präsidenten Platz nahm, betreut vom düsteren Bürodiener wie beim
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