Wallander 03 - Die weisse Löwin
unsichtbare Augen. Kalter Schweiß lief ihm über den Rücken, als er sich ins Auto setzte und nach Hause fuhr.
Wieder dachte er an die Löwin, die beinahe weiß ausgesehen hatte in dem kalten und klaren Mondlicht.
24
Kurt Wallander hatte sich den Tod immer schwarz vorgestellt.
Jetzt, da er am Strand stand, in Nebel gehüllt, begriff er, daß der Tod jede Farbe annehmen konnte. Hier war er weiß. Der Nebel schloß ihn ganz ein, er meinte die Wellen schwach gegen den Strand lecken zu hören, aber auf den Nebel kam es an, der Nebel verstärkte sein Gefühl der Ausweglosigkeit.
Als er oben auf dem Übungsgelände gestanden hatte, umgeben von den unsichtbaren Schafen, und alles vorüber war, hatte er keinen einzigen klaren Gedanken fassen können. Er wußte, daß Victor Mabasha tot war, daß er selbst einen Menschen getötet hatte und daß Konovalenko wieder einmal entkommen war, verschluckt von all dem Weißen, das sie umgab. Svedberg und Martinsson waren im Nebel aufgetaucht wie Gespenster ihrer selbst. An ihren Gesichtern hatte er sein eigenes Entsetzen darüber ablesen können, daß neben ihm tote Menschen lagen. Er hatte einerseits für immer fliehen, andererseits die Verfolgung Konovalenkos aufnehmen wollen, beides zur selben Zeit. An das, was in diesem Moment geschah, erinnerte er sich später, als habe er neben sich gestanden. Es war ein anderer Wallander, der da |366| stand und seine Waffen schwenkte. Das war er nicht, das war jemand, der vorübergehend von ihm Besitz ergriffen hatte. Erst als er Martinsson und Svedberg zugerufen hatte, sie sollten sich heraushalten, dann den Hang hinuntergerutscht und -gestolpert war und einsam im Nebel gestanden hatte, war ihm langsam klargeworden, was geschehen war. Victor Mabasha war tot, in die Stirn geschossen, auf dieselbe Art und Weise ermordet wie Louise Åkerblom. Der fette Mann war zusammengezuckt und hatte die Arme emporgeworfen. Auch er war tot, und Wallander hatte ihn erschossen.
Er schrie auf, es klang wie ein einsames Nebelhorn. Es gibt kein Zurück, dachte er verzweifelt. Ich werde in diesem Nebel wie in einer Wüste verschwinden. Wenn er sich auflöst, gibt es mich nicht mehr.
Er hatte versucht, die Reste Vernunft zu mobilisieren, über die er noch meinte verfügen zu können. Kehr um, dachte er. Geh zurück zu den toten Männern. Dort sind deine Kollegen. Zusammen könnt ihr nach Konovalenko suchen.
Dann lief er davon. Er konnte nicht umkehren. Wenn er eine Pflicht hatte, dann die, Konovalenko zu stellen, ihn zu töten, wenn es sich nicht vermeiden ließ, ihn aber in jedem Fall festzunehmen und Björk zu übergeben. Anschließend würde er schlafen, und beim Erwachen wäre der Alptraum vorüber. Aber das war nicht wahr. Den Alptraum würde es immer geben. Als er Rykoff erschoß, hatte er eine Tat begangen, die ihn für immer verfolgen würde. Also konnte er genausogut Konovalenko auf den Fersen bleiben. Dunkel ahnte er, daß er bereits jetzt nach einer Möglichkeit suchte, für Rykoffs Tod zu büßen.
Irgendwo im Nebel war Konovalenko. Vielleicht ganz in der Nähe. Ohnmächtig feuerte Wallander einen Schuß blind in all das Weiße, als versuchte er, den Nebel zu teilen. Er strich das verschwitzte Haar aus der Stirn. Da merkte er, daß er blutete. Er mußte sich geschnitten haben, als Rykoff in der Mariagata die Fensterscheiben zerschoß. Er betrachtete seine Kleidung, sie war blutbesudelt. Es tropfte auf den Sand hinunter. Er blieb reglos stehen und wartete, bis seine Atemzüge ruhiger wurden. Dann ging er weiter. Er konnte Konovalenkos Spur im Sand verfolgen. |367| Die Pistole hatte er in den Gürtel gesteckt. Das Schrotgewehr hielt er entsichert und schußbereit in Hüfthöhe. Die Fußabdrücke verrieten ihm, daß Konovalenko schnell flüchtete, beinahe rannte. Er beeilte sich, blieb wie ein Hund auf der Fährte. Im dichten Nebel schien sich der Sand zu bewegen. Gleichzeitig sah er, daß Konovalenko stehengeblieben war. Er hatte sich umgedreht, bevor er weiterrannte, jetzt in eine andere Richtung. Die Spur führte wieder den Hang hinauf. Wenn sie grasbewachsenen Boden erreichte, würde er ihr nicht mehr folgen können. Er kletterte hinauf und merkte, daß er sich am östlichen Ende des Übungsgeländes befand. Er hielt an und lauschte. Aus weiter Entfernung hörte er eine Sirene. Dann blökte ganz in der Nähe ein Schaf. Wieder war es still. Er folgte dem Zaun nach Norden. Es war der einzige Richtungshinweis. Jeden Augenblick konnte Konovalenko im
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