Wallander 03 - Die weisse Löwin
einsetzte.
Sie fröstelte im Regen, der wieder stärker geworden war, und ging ins Haus zurück. Konovalenkos Stimme war als ein Murmeln durch die geschlossene Tür zu vernehmen. Sie trat in die Küche und schaute auf die Kellerluke im Fußboden. Die Küchenuhr zeigte an, daß es Zeit war, dem Mädchen etwas zu essen und zu trinken zu geben. Sie hatte bereits eine Plastiktüte mit einer Thermosflasche und einigen belegten Broten vorbereitet. Bisher hatte das Mädchen im Keller nichts angerührt, was sie ihr gegeben hatte. Jedesmal war sie mit dem wieder gegangen, was sie beim letztenmal hingestellt hatte. Sie zündete die Kerze an, die Konovalenko liegengelassen hatte, und öffnete die Luke. In einer Hand hielt sie eine Taschenlampe.
Linda war in eine Ecke gekrochen. Dort lag sie zusammengerollt, als plagten sie heftige Magenschmerzen. Tania ließ den Lichtstrahl über den Nachttopf gleiten, der auf dem Steinboden stand. Er war nicht benutzt worden. Mitleid mit dem Mädchen ergriff sie. Vorher hatte der Schmerz über Vladimirs Tod sie so ausgefüllt, daß kein Platz für andere Gefühle dagewesen war. Jetzt aber, da sie das Mädchen liegen sah, zusammengerollt, gelähmt von der Angst, fühlte sie, daß das Böse in Konovalenko grenzenlos war. Es gab überhaupt keinen Anlaß, sie in einen dunklen Keller zu sperren, und außerdem noch mit Ketten an den Beinen. Er hätte sie in einen Raum im Obergeschoß einschließen können, so gefesselt, daß es ihr unmöglich war, das Haus zu verlassen.
|419| Das Mädchen rührte sich nicht, aber es folgte Tanias Bewegungen mit den Augen. Ihr abgeschnittenes Haar verursachte Tania Übelkeit. Sie hockte sich neben das reglose Mädchen.
»Es ist bald vorüber«, tröstete sie.
Das Mädchen antwortete nicht. Ihre Augen blickten direkt in Tanias.
»Du mußt versuchen, etwas zu dir zu nehmen. Es ist bald vorüber.«
Der Schrecken hat bereits begonnen, sie aufzufressen. Er nagt innerlich an ihr.
Plötzlich wußte sie, daß sie Linda helfen mußte. Das konnte sie das Leben kosten. Aber sie fühlte sich dazu gezwungen. Konovalenkos Bosheit war selbst für sie unerträglich.
»Es ist bald vorüber«, flüsterte sie, legte die Tüte vor das Gesicht des Mädchens und stieg die Stufen wieder hinauf. Dann verschloß sie die Luke und drehte sich um.
Da stand Konovalenko. Sie erschrak und konnte einen Ausruf nicht unterdrücken. Er verstand es, sich Menschen lautlos zu nähern. Manchmal hatte sie den Eindruck, als sei sein Gehör unnatürlich ausgebildet. Wie bei einem Nachttier. Er hört, was anderen Menschen entgeht.
»Sie schläft«, sagte Tania.
Konovalenko sah sie ernst an. Dann lächelte er plötzlich und verließ die Küche, ohne ein Wort zu sagen.
Tania sank auf einen Stuhl und zündete sich eine Zigarette an. Sie merkte, daß ihre Hände zitterten. Aber sie wußte nun, daß der Entschluß, den sie gefaßt hatte, unwiderruflich war.
Kurz nach ein Uhr rief Svedberg Wallander an.
Schon nach dem ersten Signal wurde der Hörer abgenommen. Svedberg hatte lange in seiner Wohnung gesessen und überlegt, wie er Wallander überzeugen könnte, nicht noch einmal allein gegen Konovalenko anzutreten. Aber er sagte sich, daß Wallander sich nicht mehr nur von Vernunftgründen leiten ließ. Er hatte eine Grenze überschritten, und sein Handeln wurde stark von gefühlsmäßigen Impulsen bestimmt. Er konnte nur an Wallander appellieren, Konovalenko nicht allein herauszufordern. In |420| gewisser Weise ist er nicht ganz zurechnungsfähig, dachte Svedberg. Er wird von der Angst gesteuert, der Tochter könnte etwas geschehen. Er ist zu allem fähig.
Er kam sofort zur Sache. »Ich habe Konovalenkos Haus gefunden.«
Er fühlte, daß Wallander am anderen Ende der Leitung zusammenzuckte.
»Ich habe eine Spur unter den Gegenständen gefunden, die in Rykoffs Taschen waren. Ich muß wohl nicht ins Detail gehen. Aber sie führte mich zu einem IC A-Laden in Tomelilla. Eine Verkäuferin mit phänomenalem Gedächtnis brachte mich weiter. Das Haus liegt östlich von Tomelilla. An einer Kiesgrube, die offensichtlich schon lange nicht mehr in Betrieb ist. Es gehört zu einem alten Bauernhof.«
»Ich hoffe, niemand hat dich gesehen«, sagte Wallander.
Svedberg konnte hören, wie erschöpft und gespannt er war.
»Niemand«, versicherte er. »Du kannst ganz beruhigt sein.«
»Wie sollte ich wohl ruhig sein können?«
Svedberg schwieg.
»Ich glaube, ich weiß, wo diese Kiesgrube liegt«, fuhr
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