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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wartend. Sie beobachtete ihn durch die dünne Gardine des Wohnzimmers. Ein Weißer, der Anzug und Schlips trug und sich in ihrer Welt wie ein unbeholfener Fremdling ausnahm. Sie hatte ihn zeitig entdeckt, kurz nachdem Matilda zur Schule gegangen war. Sie hatte sofort reagiert, weil sich in ihrer Straße nicht oft Menschen zeigten. Morgens verschwanden die Männer, die in den Villen wohnten, in ihren Autos ins Zentrum von Johannesburg. Später setzten sich die Frauen in ihre eigenen Wagen, um zum Einkaufen zu fahren, um Schönheitsinstitute zu besuchen oder einfach von zu Hause wegzukommen. In Bezuidenhout lebten Enttäuschte und Unzufriedene aus der weißen Mittelklasse, Leute, die es nicht geschafft hatten, sich in die oberste weiße Schicht im Lande hinaufzubuckeln. Miranda wußte auch, daß viele dieser Menschen ans Auswandern dachten. Und noch eine Wahrheit wurde hier unerbittlich demontiert. Für diese Menschen war Südafrika kein selbstverständliches Vaterland, an das sie sich durch Blut und Boden gebunden fühlten. Auch wenn sie hier geboren waren, hatten sie nicht gezögert, über einen Umzug nachzudenken, als de Klerk seine Februarrede an die Nation gehalten hatte, Nelson Mandela freigelassen worden war und sich |426| eine neue Zeit ankündigte. Eine neue Zeit, die es vielleicht mit sich bringen würde, daß auch noch andere Schwarze neben Miranda in Bezuidenhout wohnten.
    Aber der Mann auf der anderen Straßenseite war ein Fremder. Er gehörte nicht hierher, und Miranda fragte sich, was er suchte. Ein Mensch, der im Morgengrauen ruhig auf einer Straße stand, mußte nach etwas suchen, was er verloren oder geträumt hatte. Sie war lange hinter der dünnen Gardine stehen geblieben und hatte ihn betrachtet und schließlich gemerkt, daß er ihr Haus beobachtete. Das hatte ihr zuerst angst gemacht. Kam er von einer unbekannten Behörde, einem der ungreifbaren Kontrollorgane, die nach wie vor das Leben der Schwarzen in Südafrika beherrschten? Sie hatte darauf gewartet, daß er sich zu erkennen geben, an ihrer Tür klingeln würde. Aber je länger er dastand, reglos, desto stärker wurden ihre Zweifel. Außerdem trug er keine Aktentasche. Miranda war daran gewöhnt, daß das weiße Südafrika zu den Schwarzen immer entweder durch Hunde, Polizisten, pfeifende Gummiknüppel und gepanzerte Fahrzeuge oder durch Papiere sprach. Aber er hatte keine Aktentasche bei sich, seine Hände waren leer.
    Am ersten Morgen war Miranda in regelmäßigen Abständen ans Fenster zurückgekehrt, um zu kontrollieren, ob er noch da war. Er kam ihr wie eine Statue vor, von der niemand wußte, wo man sie plazieren sollte, oder die keiner haben wollte. Kurz vor neun war die Straße dann wieder leer. Am Tag darauf jedoch war er wiedergekommen, hatte an derselben Stelle gestanden, den Blick auf ihr Fenster gerichtet. Ihr war die böse Ahnung gekommen, er stünde Matildas wegen dort. Vielleicht war er von der Geheimpolizei; im Hintergrund, von ihrem Fenster aus nicht sichtbar, konnten uniformierte Männer in Autos warten. Aber etwas in seinem Auftreten machte sie unsicher. Da kam ihr zum erstenmal der Gedanke, er könnte dort stehen, damit sie ihn sah und begreifen sollte, daß er nicht gefährlich war. Er bedrohte sie nicht, er gab ihr Zeit, sich an ihn zu gewöhnen.
    Heute war es der dritte Morgen, Mittwoch, der 20.   Mai, und wieder war er gekommen. Plötzlich schaute er sich um, ging dann über die Straße auf ihre Gasse zu und näherte sich auf dem |427| gepflasterten Weg ihrer Wohnungstür. Als es klingelte, stand sie immer noch hinter der Gardine. Gerade an diesem Morgen war Matilda nicht in die Schule gegangen. Beim Aufwachen hatte sie über Kopfschmerzen und Fieber geklagt, vielleicht war es Malaria, aber nun schlief sie in ihrem Zimmer. Miranda zog vorsichtig die Zimmertür zu, bevor sie aufmachen ging. Es hatte nur einmal geklingelt. Er wußte, daß jemand zu Hause war, und konnte deshalb sicher sein, daß sich die Tür für ihn öffnen würde.
    Er ist jung, dachte Miranda, als sie vor ihm stand.
    Die Stimme des Mannes war hell.
    »Miranda Nkoyi? Ich möchte fragen, ob ich einen Moment hereinkommen darf. Ich verspreche, nicht lange zu stören.«
    Irgendwo in ihr meldete sich eine warnende Stimme. Aber sie ließ ihn trotzdem ein, führte ihn ins Wohnzimmer und bat ihn, sich zu setzen.
    Georg Scheepers fühlte sich wie gewöhnlich unsicher, wenn er mit einer schwarzen Frau allein war. Das geschah nicht oft in seinem Leben. Meist

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