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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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konnte ihr Gesicht nicht sehen, da es teilweise durch einen Baum verdeckt wurde.
    Er nahm das Fernglas herunter. Dort muß es sein, dachte er. Das Mädchen im IC A-Geschäft hatte Ohren, um zu hören, und Augen, um zu sehen, und außerdem noch ein gutes Gedächtnis. Er kletterte von der Schottermühle herunter und ging zurück zu seinem Wagen. Inzwischen war es nach zehn Uhr. Er beschloß, im Polizeigebäude anzurufen und sich krank zu melden. Er hatte keine Zeit mehr, in irgendwelchen Versammlungen herumzusitzen.
    Jetzt mußte er mit Wallander reden.
     
    Tania warf die Zigarette weg und trat die Glut mit dem Absatz aus. Sie stand draußen auf dem Hof im leichten Nieselregen. Das Wetter paßte zu ihrer Stimmung. Konovalenko hatte sich mit dem neuen Afrikaner zurückgezogen, und sie interessierte sich nicht dafür, worüber sie sprachen. Vladimir hatte sie immer auf dem laufenden gehalten, solange er lebte. Sie wußte, daß in Südafrika ein bedeutender Politiker getötet werden sollte. Aber wer das war und warum, darüber wußte sie nichts. Vladimir hatte es ihr bestimmt erzählt, aber sie hatte es sich nicht gemerkt.
    Sie war auf den Hof gegangen, um ein paar Minuten für sich zu haben. Bisher hatte sie noch kaum Zeit gefunden, darüber nachzudenken, was es bedeutete, daß Vladimir nun nicht mehr da war. Sie war überrascht von dem Schmerz und der Trauer, die sie spürte. Ihre Ehe war nie etwas anderes gewesen als ein praktisches Arrangement, das ihnen beiden zugute kam. Bei der Flucht aus der zerfallenden Sowjetunion hatten sie einander |417| helfen können. Danach, in Schweden, hatte sie den Sinn ihres Daseins darin gesehen, Vladimir bei seinen verschiedenen Transaktionen zu helfen. Alles war anders geworden, als Konovalenko auftauchte. Anfangs hatte sich Tania zu ihm hingezogen gefühlt. Sein bestimmtes Auftreten, seine Selbstsicherheit waren ein Kontrast zu Vladimirs Persönlichkeit, und sie hatte nicht gezögert, als Konovalenko begann, Interesse an ihr zu bekunden. Es hatte jedoch nicht lange gedauert, bis ihr klargeworden war, daß er sie nur ausnutzte. Seine Gefühlskälte, seine intensive Verachtung für andere Menschen hatten sie erschreckt. Ihr Leben war im Laufe der Zeit vollständig von Konovalenko bestimmt worden. Dann und wann, spätabends, hatten Vladimir und sie darüber gesprochen, noch einmal aufzubrechen, von neuem zu beginnen, außerhalb von Konovalenkos Einflußbereich. Aber es war nie etwas daraus geworden, und nun war Vladimir tot. Sie stand auf dem Hof und fühlte, daß sie ihn vermißte. Was jetzt geschehen sollte, wußte sie nicht. Konovalenko war wie besessen davon, den Polizisten, der Vladimir getötet und ihm soviel Ungelegenheiten bereitet hatte, zu vernichten. Die Gedanken an die Zukunft mußten warten, bis alles vorüber war, bis der Polizist tot und der Afrikaner in sein Land zurückgekehrt war, um seinen Auftrag auszuführen. Ihr war klar, daß sie von Konovalenko abhing, ob sie wollte oder nicht. Aus dem Exil gab es kein Zurück. Flüchtig und immer seltener dachte sie an Kiew, die Stadt, aus der sowohl sie selbst als auch Vladimir gekommen waren. Was weh tat, waren nicht all die Erinnerungen, sondern die Gewißheit, daß sie die Menschen und Plätze niemals wiedersehen würde, die einst Ausgangspunkt ihres Lebens gewesen waren. Eine Tür war für immer zugeschlagen. Sie war verschlossen, und den Schlüssel hatte man weggeworfen. Die letzten Reste waren mit Vladimir verschwunden.
    Sie dachte an das Mädchen, das im Keller gefangengehalten wurde. Das war das einzige, was sie Konovalenko in den letzten Tagen gefragt hatte. Was würde mit ihr geschehen? Er hatte geantwortet, daß er sie freilassen würde, wenn er den Vater erwischt hätte. Aber sie hatte sofort daran zu zweifeln begonnen, |418| daß er es ernst meinte. Sie schauderte bei dem Gedanken, daß er auch das Mädchen noch töten könnte.
    Tania fiel es schwer, sich über ihre eigenen Gefühle klarzuwerden. Sie fühlte einen uneingeschränkten Haß auf den Vater des Mädchens, der ihren Mann getötet hatte, außerdem noch auf barbarische Art und Weise, wie Konovalenko ihr versichert hatte, ohne genauer zu erklären, was er damit meinte. Aber deshalb die Tochter des Polizisten zu opfern, das war zuviel für sie. Gleichzeitig wußte sie, daß sie nichts tun konnte, um zu verhindern, daß es geschah. Die geringste Andeutung von Widerstand würde nur bedeuten, daß Konovalenko seine tödlichen Kräfte auch gegen sie

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