Wallander 03 - Die weisse Löwin
bemerkenswertesten Ergebnisse der Nachforschungen der letzten Tage war, daß Miranda Nkoyi die ganze Zeit als alleinstehende Haushälterin eines Mannes namens Sidney Houston registriert war, der sich meistens auf seiner Ranch weit draußen auf den großen Ebenen östlich von Harare aufhielt. Das Arrangement mit dem abwesenden Viehzüchter hatte Scheepers schnell durchschaut, vor allem seit er wußte, daß Jan Kleyn und Houston an der Universität Kommilitonen gewesen waren. Aber die andere Frau, Mirandas Tochter? Es gab sie nicht. Und nun stand sie hinter der Tür und belauschte ihr Gespräch.
Der Gedanke überrumpelte ihn. Später würde er verstehen, daß ihn seine Vorurteile blockiert hatten, die unsichtbaren Rassenbarrieren, die sein Leben bestimmten. Plötzlich begriff er, wer das lauschende Mädchen war. Jan Kleyns großes und wohlbehütetes Geheimnis war entdeckt. Es war, als habe sich eine Festung schließlich den Belagerern ergeben. Die Wahrheit war so lange |430| nicht ans Licht gekommen, weil sie ganz einfach undenkbar war. Jan Kleyn, der Star des Nachrichtendienstes, der rücksichtslos kämpfende Bure, hatte eine Tochter mit einer schwarzen Frau. Eine Tochter, die er vermutlich mehr liebte als alle anderen Menschen. Vielleicht bildete er sich ein, daß Nelson Mandela sterben mußte, damit seine schwarze Tochter weiterleben konnte und durch die Nähe zu den Weißen im Land veredelt wurde. Für Scheepers verdiente Heuchelei nichts anderes als Haß. Er fühlte sich, als habe man in diesem Moment all seinen eigenen Widerstand gebrochen. Gleichzeitig meinte er, nun das Unerhörte der Aufgabe zu verstehen, die sich Präsident de Klerk und Nelson Mandela gestellt hatten. Wie sollte es möglich sein, Gemeinsamkeit zwischen den Menschen zu schaffen, wenn alle einander als Verräter betrachteten?
Miranda sah ihn unverwandt an. Sie konnte nicht erraten, was er dachte, aber sie merkte, daß er aufgeregt war.
Er ließ den Blick schweifen, zuerst über ihr Gesicht, von dort aus weiter zu einer Fotografie des Mädchens auf dem Absatz des Kamins.
»Ihre Tochter«, sagte er. »Jan Kleyns Tochter.«
»Matilda.«
Scheepers rief sich ins Gedächtnis, was er über Mirandas Vergangenheit gelesen hatte.
»Wie Ihre Mutter.«
»Wie meine Mutter.«
»Lieben Sie Ihren Mann?«
»Er ist nicht mein Mann. Er ist ihr Vater.«
»Und sie?«
»Sie haßt ihn.«
»Jetzt steht sie hinter der Tür und belauscht unser Gespräch.«
»Sie ist krank. Sie hat Fieber.«
»Trotzdem lauscht sie.«
»Warum sollte sie nicht?«
Scheepers nickte. Er verstand. »Ich muß es wissen. Denken Sie nach. Alles, was uns helfen kann, die Männer zu finden, die planen, das Land ins Chaos zu stürzen. Bevor es zu spät ist.«
Miranda dachte, daß der Augenblick, auf den sie so lange gewartet |431| hatte, gekommen war. Früher hatte sie sich immer vorgestellt, daß niemand dabeisein würde, wenn sie von ihren nächtlichen Untersuchungen der Taschen Jan Kleyns und dem Belauschen seiner im Schlaf geäußerten Worte berichtete. Niemand, nur sie und ihre Tochter. Nun aber war ihr klar, daß es anders verlaufen würde. Sie fragte sich, wie es möglich war, daß sie ihm so voll und ganz vertraute, ohne auch nur zu wissen, wie er hieß. War es seine eigene Verletzbarkeit? Seine Unsicherheit ihr gegenüber? War es allein die Schwäche, zu der sie Vertrauen wagte?
Die Freude der Befreiung, dachte sie. Das ist es, was ich in diesem Moment fühle. Als stiege ich gereinigt aus dem Meer.
»Lange habe ich geglaubt, er wäre ein gewöhnlicher Angestellter«, begann sie. »Ich ahnte nichts von seinen Verbrechen. Dann erfuhr ich davon.«
»Durch wen?«
»Vielleicht sage ich, durch wen. Aber noch nicht. Man soll erst reden, wenn die Zeit reif ist.«
Er bereute, sie unterbrochen zu haben.
»Aber er weiß nicht, daß ich es weiß«, fuhr sie fort. »Das war immer mein Vorteil. Vielleicht war es meine Rettung, vielleicht wird es mein Tod. Aber jedesmal, wenn er uns besucht hat, bin ich nachts aufgestanden, habe seine Taschen geleert und selbst den kleinsten Fetzen Papier kopiert. Ich habe auch zugehört, wenn er im Schlaf unzusammenhängend vor sich hin gemurmelt hat. Und ich habe diese Informationen weitergegeben.«
»An wen?«
»An die, die uns schützen.«
»Ich schütze euch.«
»Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.«
»Das hat nichts zu bedeuten.«
»Ich habe mit schwarzen Männern gesprochen, die genauso geheime Leben leben wie Jan Kleyn.« Er
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