Wallander 03 - Die weisse Löwin
hatte das Gerücht gehört. Aber nichts hatte jemals bewiesen werden können. Er wußte, daß die Nachrichtendienste, sowohl der zivile als auch der militärische, ständig ihre eigenen Schatten jagten. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, daß die Schwarzen einen eigenen Nachrichtendienst |432| hatten. Vielleicht direkt dem ANC angeschlossen, vielleicht als eine völlig selbständige Organisation. Dort wurden die Überwacher überwacht, ihre Strategien und Identitäten. Ihm wurde klar, daß die Frau namens Miranda soeben bestätigt hatte, daß es diese Menschen wirklich gab.
Jan Kleyn ist ein toter Mann, dachte er. Ohne daß er etwas davon wußte, haben seine Taschen denen, die er als seine Feinde betrachtet, wertvolle Informationen geliefert.
»Es geht mir um die letzten Monate«, sagte er. »Was davor war, kümmert mich nicht. Was haben Sie in der letzten Zeit gefunden?«
»Ich habe alles weitergegeben, und ich habe es vergessen. Warum sollte ich mir die Mühe machen, mich zu erinnern?«
Er sah ein, daß sie recht hatte. Wieder versuchte er, sie zu überzeugen. Er mußte mit einem der Männer reden, die auswerteten, was sie in Jan Kleyns Taschen gefunden oder im Schlaf belauscht hatte.
»Warum sollte ich Ihnen vertrauen?« fragte sie.
»Sie sollen es gar nicht«, erwiderte er. »Es gibt keine Garantien im Leben. Es gibt nur Risiken.«
Sie schwieg und schien nachzudenken.
»Hat er viele Menschen getötet?« fragte sie dann. Sie sprach sehr laut, und er begriff, daß sie es tat, damit die Tochter mithören konnte.
»Ja. Er hat viele Menschen auf dem Gewissen.«
»Schwarze?«
»Schwarze.«
»Die Verbrecher waren?«
»Manchmal. Manchmal nicht.«
»Warum hat er sie getötet?«
»Weil sie nicht reden wollten. Rebellen. Aufrührer.«
»Wie meine Tochter.«
»Ich kenne Ihre Tochter nicht.«
»Aber ich.«
Sie stand energisch auf. »Kommen Sie morgen wieder. Vielleicht gibt es dann jemanden, der Sie treffen will. Gehen Sie jetzt.«
|433| Er verließ das Haus. Als er zu seinem Wagen kam, den er in einer Seitenstraße geparkt hatte, war er durchgeschwitzt. Er fuhr los und dachte über seine Schwäche und ihre Stärke nach. Gab es eine Zukunft, in der sie aufeinander zugehen und sich versöhnen konnten?
Matilda kam erst heraus, als er gegangen war. Miranda bedrängte sie nicht. Am Abend aber saß sie lange auf ihrer Bettkante.
Das Fieber kam wellenartig.
»Bist du traurig?« fragte Miranda.
»Nein. Ich hasse ihn nur noch mehr.«
Später würde sich Scheepers an seinen Besuch in Kliptown als an einen Abstieg in eine Hölle erinnern, der er sein Leben lang aus dem Weg gegangen war. Er war immer der weißen Bahn gefolgt, die die Buren von der Wiege bis zum Tod geleitete, dem Weg der Einäugigen. Nun war er gezwungen, die andere Linie zu betreten, die schwarze, und was er sah, glaubte er nie vergessen zu können. Es berührte ihn, es mußte ihn berühren, denn es ging um das Leben von zwanzig Millionen Menschen. Menschen, denen man ein vollwertiges Leben nicht gestattete, die vorzeitig starben, die nie die Möglichkeit erhielten, sich zu entwickeln.
Am nächsten Morgen war er um zehn Uhr zum Haus in Bezuidenhout zurückgekehrt. Miranda öffnete ihm; es war jedoch ihre Tochter Matilda, die ihn zu dem Mann führen sollte, der bereit war, mit ihm zu sprechen. Er hatte das Gefühl, als sei ihm ein großes Privileg bewilligt worden. Matilda war genauso schön wie ihre Mutter. Ihre Haut war heller, aber die Augen waren die gleichen. Züge des Vaters waren in ihrem Gesicht kaum zu erkennen. Vielleicht distanzierte sie sich in einem solchen Maße von ihm, daß sie selbst verhinderte, ihm irgendwie ähnlich zu sein. Sie gab sich sehr reserviert, nickte ihm lediglich zu, als er ihr die Hand geben wollte. Wieder fühlte er sich unsicher, nun auch der Tochter gegenüber, obwohl sie doch nur ein Teenager war. Er wurde nervös. Worauf hatte er sich da eingelassen? Vielleicht ruhte Jan Kleyns Hand in ganz anderer Art und Weise über |434| diesem Haus, als man ihn glauben gemacht hatte? Aber es war zu spät für ihn, es sich anders zu überlegen. Ein altes rostiges Auto mit schleifendem Auspuff und halb abgesägten Stoßstangen stand vor dem Haus. Wortlos öffnete Matilda die Tür und sah ihn an.
»Ich glaubte, er würde herkommen«, sagte er zögernd.
»Wir werden eine andere Welt besuchen«, sagte Matilda.
Er nahm auf dem Rücksitz Platz und bemerkte einen Geruch, der ihn, wie er erst später herausfand, an
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