Wallander 03 - Die weisse Löwin
|441| Mandelas. Die Konsequenz wäre Chaos, ein Blutbad, der totale Zusammenbruch. Eine Gruppe einflußreicher Buren wartet im Hintergrund, um die Herrschaft in unserem Land zu übernehmen. Die Verfassung und die gesellschaftlichen Funktionen werden außer Kraft gesetzt. Ein korporatives Regime wird eingeführt, zu gleichen Teilen aus Militär, Polizei und Zivilpersonen bestehend. Die Zukunft wäre ein einziger endloser Ausnahmezustand. Ist das korrekt?«
»Ja«, antwortete Scheepers. »Wenn ich eine Vermutung hinzufügen darf: Das Attentat ist für den 12. Juni geplant.«
»Weshalb?«
»Nelson Mandela wird in Kapstadt reden. Ich habe erfahren, daß das Informationsbüro des Militärs ungewöhnlich großes Interesse für die Planung der örtlichen Polizei bezüglich des Volkstreffens zeigt. Auch andere Zeichen deuten darauf hin. Ich bin mir klar darüber, daß es nur eine Vermutung ist. Aber ich bin überzeugt davon, daß sie fundiert ist.«
»Drei Wochen«, murmelte de Klerk. »Drei Wochen, um diese Wahnsinnigen aufzuhalten.«
»Wenn es stimmt. Wir können nicht ausschließen, daß der 12. Juni in Kapstadt eine Spur ist, die gelegt wurde, um uns irrezuführen. Die Leute, die mit der Sache zu tun haben, sind darin sehr geschickt. Das Attentat kann sehr gut bereits morgen geschehen.«
»Mit anderen Worten: jederzeit. Und überall. Und wir können eigentlich nichts tun.«
Er verstummte. Scheepers wartete.
»Ich muß mit Nelson Mandela sprechen«, fuhr de Klerk fort. »Er muß wissen, was auf dem Spiel steht.«
Dann sah er Scheepers an. »Diese Menschen müssen unmittelbar gestoppt werden.«
»Wir wissen nicht, wer dahintersteckt«, sagte Scheepers. »Wie kann man das Unbekannte stoppen?«
»Aber der Mann, den sie angeheuert haben?«
»Auch er ist unbekannt.«
De Klerk betrachtete ihn nachdenklich. »Sie haben einen Plan. Das sehe ich Ihrem Gesicht an.«
|442| Scheepers merkte, daß er rot wurde. »Herr Präsident«, sagte er. »Der Schlüssel zu dem Ganzen ist, glaube ich, Jan Kleyn. Der Mann im Nachrichtendienst. Er sollte sofort verhaftet werden. Es besteht natürlich das Risiko, daß er nichts verrät. Oder es vielleicht vorzieht, Selbstmord zu begehen. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, als ihn ins Verhör zu nehmen.«
De Klerk nickte. »Wir werden es tun«, sagte er. »Wir haben ja eine ganze Menge geschickter Vernehmer, die für gewöhnlich die Wahrheit aus den Leuten herausholen.«
Aus Schwarzen, dachte Scheepers. Die nach dem Verhör unter merkwürdigen Umständen ums Leben kommen. »Das Beste wäre natürlich, wenn ich mich um das Verhör kümmern könnte«, sagte er. »Ich bin wahrscheinlich am umfassendsten informiert.«
»Sie glauben, daß Sie mit ihm umgehen können?«
»Ja.«
Der Präsident erhob sich. Die Audienz war vorbei. »Jan Kleyn wird morgen verhaftet. Und ich will ab jetzt laufend Berichte. Einmal täglich.«
Sie verabschiedeten sich.
Scheepers ging und nickte dem alten Bediensteten zu, der im Vorraum wartete. Dann fuhr er durch die Nacht nach Hause. Seine Pistole lag neben ihm auf dem Sitz.
De Klerk stand lange in Gedanken versunken am Fenster.
Dann setzte er sich noch für einige Stunden an den Schreibtisch.
Draußen im Vorzimmer lief der alte Bürodiener umher, glättete die Falten im Teppich und strich Sitzkissen glatt. Unentwegt dachte er an das, was er durch die Tür des Privatkabinetts des Präsidenten erlauscht hatte. Er begriff, daß die Situation sehr ernst war. Er ging in den unansehnlichen Raum, der als Büro diente. Er zog den Telefonstecker aus der Dose und trug den Apparat zu einem anderen Anschluß, der hinter der hölzernen Wandverkleidung verborgen war und den außer ihm niemand kannte. Er nahm den Hörer ab und hatte sofort ein Freizeichen. Dann wählte er eine Nummer.
|443| Die Antwort kam nach einem kurzen Augenblick. Jan Kleyn hatte noch nicht geschlafen.
Nach dem Gespräch mit dem Bürodiener des Präsidenten war ihm klar, daß er diese Nacht ohne Schlaf auskommen mußte.
Countdown in ein Vakuum
29
Am späten Abend tötete Sikosi Tsiki durch einen wohlgezielten Messerwurf eine Maus. Da war Tania bereits schlafen gegangen. Konovalenko wartete darauf, daß die Zeit herankam, Jan Kleyn in Südafrika anzurufen, um die letzten Instruktionen bezüglich der Rückreise Sikosi Tsikis einzuholen. Konovalenko beabsichtigte auch, mit ihm über seine eigene Zukunft als Einwanderer zu sprechen. Aus dem Keller war kein Laut zu hören. Tania,
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