Wallander 03 - Die weisse Löwin
einen wiederkehrenden Traum von Termiten.
Er befand sich in einem Haus, wo jeder Boden, jede Wand, jedes Möbelstück von den hungrigen Tieren angegriffen war. Warum er in dieses Haus gekommen war, wußte er nicht. Zwischen den Dielenbrettern wuchs Gras, die Fensterscheiben waren |439| zerschlagen, und das wahnsinnige Kauen der Termiten spürte er wie ein Jucken im eigenen Körper. In dem Traum hatte er sehr wenig Zeit, eine wichtige Ansprache zu formulieren. Der Mann, der ihm sonst die Reden schrieb, war verschwunden; so mußte er die Arbeit selbst übernehmen. Aber als er zu schreiben begann, krochen die Termiten sogar aus seinem Stift.
An dieser Stelle wachte er für gewöhnlich auf. In der Dunkelheit dachte er, daß der Traum vielleicht eine Wahrheit enthielt. Vielleicht war alles schon zu spät? Das, was er erreichen wollte, Südafrika vor dem Zerfall zu bewahren und gleichzeitig den Einfluß und die Sonderstellung der Weißen soweit wie möglich zu erhalten, ließ sich vielleicht mit der schwarzen Ungeduld nicht mehr in Einklang bringen. Es war eigentlich nur Nelson Mandela, der ihn überzeugen konnte, daß es keinen anderen Weg gab. De Klerk wußte, daß sie die Angst vor unkontrollierter Gewalt teilten, vor einem chaotischen Zerfall, den keiner mehr beherrschen konnte, dem Nährboden für einen brutalen und rachsüchtigen Militärputsch oder verschiedene ethnische Gruppierungen, die einander bekämpfen würden, bis nichts mehr übrigblieb.
Es war zehn Uhr abends, am Donnerstag, dem 21. Mai. De Klerk wußte, daß der junge Staatsanwalt Scheepers bereits in seinem Vorzimmer saß und wartete. Aber noch fühlte sich de Klerk nicht in der Lage, ihn zu empfangen. Er war müde, sein Kopf wie zerfressen von all den Problemen, deren Lösung seine Pflicht war. Er stand vom Schreibtisch auf und trat an eines der hohen Fenster. Manchmal konnte die Verantwortung geradezu lähmend auf ihn wirken. Manchmal war es zuviel für einen einzelnen Menschen. Er verspürte von Zeit zu Zeit eine instinktive Lust zu fliehen, sich unsichtbar zu machen, direkt in den Busch zu gehen und einfach zu verschwinden, sich in Luft aufzulösen. Aber er wußte, daß er das nicht tun würde. Der Gott, mit dem zu reden und an den zu glauben ihm immer schwerer fiel, gab ihm vielleicht dennoch weiterhin Schutz. Er fragte sich, wieviel Zeit ihm eigentlich blieb. Seine Stimmung wechselte ständig. Manchmal glaubte er, seine Zeit sei bereits abgelaufen, manchmal war er überzeugt davon, daß ihm trotz allem noch fünf Jahre blieben. |440| Und Zeit war das, was er brauchte. Sein großer Plan – den Übergang zu einer neuen Gesellschaft so lange wie möglich zu verschleppen und während dieser Zeit eine große Anzahl schwarzer Wähler in seine Partei zu locken – erforderte Zeit. Aber es war ihm auch klar, daß Nelson Mandela ihm Zeit verweigern würde, die nicht zur Vorbereitung des Überganges genutzt wurde.
In allem, was er tat, gab es eine Spur von Falschheit, dachte er. Eigentlich träume auch ich den unmöglichen Traum, daß mein Land nie verändert werden sollte. Der Unterschied zwischen mir und einem verrückten Fanatiker, der mit offener Gewalt den unmöglichen Traum verteidigen will, ist sehr gering.
Es ist spät auf Erden in Südafrika, dachte er. Was jetzt geschieht, hätte vor vielen Jahren geschehen müssen. Aber die Geschichte richtet sich nicht nach einem unsichtbar ausgelegten Lineal.
Er kehrte zum Schreibtisch zurück und betätigte die Klingel. Kurz darauf trat Scheepers ein. De Klerk hatte seine Energie und Gründlichkeit zu schätzen gelernt. Den Zug naiver Unschuld, den er an dem jungen Staatsanwalt ebenfalls bemerkte, verzieh er. Auch dieser junge Bure würde lernen müssen, daß sich unter dem weichen Sand scharfkantige Felsen verbargen.
Er lauschte Scheepers’ Vortrag mit halbgeschlossenen Augen. Die Worte, die ihn erreichten, türmten sich in seinem Bewußtsein.
Als Scheepers geendet hatte, sah ihn de Klerk forschend an. »Ich setze voraus, daß alles, was ich gerade zu hören bekommen habe, richtig ist«, begann er.
»Ja«, bestätigte Scheepers. »Es gibt keine Zweifel.«
»Überhaupt keine?«
»Nein.«
De Klerk überlegte, bevor er fortfuhr. »Nelson Mandela soll also getötet werden. Durch einen elenden Berufskiller, den der Exekutivausschuß dieses geheimen Komitees ausgewählt und bezahlt hat. Der Mord soll in der nächsten Zeit begangen werden, im Zusammenhang mit einem der vielen öffentlichen Auftritte
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