Wallander 03 - Die weisse Löwin
Öland. Er studierte die Karte. Dann setzte er sich an einen Tisch und richtete die Lampe darauf. An einigen Stellen entdeckte er schwache Bleistiftspuren, als habe jemand einen Weg mit dem Stift verfolgt und sei ab und zu auf das Papier gekommen. Eine der Spuren bemerkte er in der Nähe der Ölandbrücke in Kalmar. Ganz unten auf der Karte, ungefähr in der Höhe von Blekinge, gab es einen weiteren deutlichen Abdruck. Er überlegte einen Augenblick. Dann blätterte er zur Karte von Schonen. Dort fanden sich keine Bleistiftstriche. Er kehrte wieder zur gekennzeichneten Seite zurück. Die schwachen Striche folgten der Küstenstraße nach Kalmar. Er legte den Atlas zur Seite.
Dann ging er in die Küche hinüber und rief Svedberg an. »Ich bin hier draußen«, begann er. »Wenn ich Öland sage, was fällt dir dazu ein?«
Svedberg überlegte. »Eigentlich nichts.«
»Ihr habt kein Notizbuch gefunden, als ihr das Haus durchsucht habt? Kein Telefonverzeichnis?«
»Tania hatte einen kleinen Taschenkalender in ihrer Handtasche. Aber da stand nichts drin.«
»Keine losen Zettel?«
»Wenn du in den Kamin schaust, wirst du sehen, daß dort jemand Papiere verbrannt hat. Wir haben die Asche durchsucht. Nichts. Warum sprichst du von Öland?«
»Ich habe eine Karte gefunden. Aber das hat wohl doch nichts zu bedeuten.«
»Konovalenko ist bestimmt nach Stockholm zurückgekehrt«, sagte Svedberg. »Ich glaube, er hat von Schonen genug.«
»Du hast sicher recht. Entschuldige, daß ich dich gestört habe. Ich werde mich hier bald davonmachen.«
»Keine Probleme mit dem Schlüssel?«
»Er lag an der beschriebenen Stelle.«
Wallander stellte den Atlas ins Bücherregal zurück. Svedberg |464| hatte wahrscheinlich recht. Konovalenko war wieder in Stockholm.
Er ging in die Küche und trank Wasser. Sein Blick fiel auf das Telefonbuch, das unter dem Apparat lag. Er zog es hervor und schlug es auf.
Jemand hatte auf der Innenseite eine Adresse notiert. Mit Bleistift. Hemmansvägen 14. Er überlegte einen Augenblick. Dann wählte er die Nummer der Auskunft. Als sich jemand meldete, bat er um die Telefonnummer eines Teilnehmers namens Wallander, der Hemmansvägen 14 in Kalmar wohnen sollte.
»Unter der angegebenen Adresse ist ein Teilnehmer namens Wallander nicht bekannt«, lautete die Auskunft.
»Vielleicht läuft ja der Apparat auf den Namen seines Chefs«, sagte Wallander. »Ich weiß allerdings nicht, wie der heißt.«
»Könnte es Edelman sein?«
»Genau«, sagte Wallander.
Er erhielt die Telefonnummer, bedankte sich und legte auf. Dann stand er reglos. Konnte das möglich sein? Hatte Konovalenko noch einen Zufluchtsort, diesmal auf Öland?
Er machte das Licht aus, schloß hinter sich ab und legte den Schlüssel zurück ins Fallrohr. Es wehte ein schwacher Wind. Der Abend war vorsommerlich mild. Sein Entschluß kam wie von selbst. Er ließ den Hof hinter sich und fuhr in Richtung Öland.
In Brösarp hielt er noch einmal an und telefonierte mit daheim.
Sein Vater war am Apparat. »Sie schläft«, sagte er. »Wir haben Karten gespielt.«
»Ich komme heute nacht nicht nach Hause«, sagte Wallander. »Macht euch aber keine Sorgen. Ich muß nur eine Menge Routinearbeiten erledigen. Linda weiß ja, daß ich gern nachts arbeite. Ich lasse morgen vormittag von mir hören.«
»Wann du willst«, erwiderte der Vater.
Wallander legte auf und dachte, daß sich ihr Verhältnis trotz allem verbesserte. Der Ton war ein anderer geworden. Wenn es nur so bliebe. Vielleicht würde das ganze Elend doch noch eine gute Seite haben. Als er die Ölandbrücke erreichte, war es vier |465| Uhr morgens. Zweimal hatte er unterwegs angehalten, einmal, um zu tanken, das zweite Mal, um eine Weile zu schlafen. Als er da war, fühlte er sich nicht mehr müde. Er betrachtete die mächtige Brücke, die sich vor ihm erhob, und das Wasser, das in der Morgensonne glitzerte. Auf dem Parkplatz entdeckte er in der Telefonzelle ein halb zerrissenes Fernsprechverzeichnis. Es zeigte sich, daß der Hemmansväg auf der anderen Seite lag. Bevor er über die Brücke fuhr, nahm er die Pistole aus dem Handschuhfach und kontrollierte, ob sie geladen war. Er erinnerte sich plötzlich an einen Ausflug vor vielen Jahren, als er zusammen mit seiner Schwester Kristina und seinen Eltern Öland und Alvaret besucht hatte. Damals hatte es die Brücke noch nicht gegeben. Schwach erinnerte er sich an die kleine Fähre, die sie über den Sund gebracht hatte. Sie hatten eine
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