Wallander 03 - Die weisse Löwin
Sommerwoche lang auf einem Campingplatz gezeltet. Für ihn war diese Woche eher ein heiteres Gefühl als eine Folge von Ereignissen. Für einen kurzen Augenblick spürte er so etwas wie einen Verlust. Dann kehrten seine Gedanken zu Konovalenko zurück. Er versuchte sich einzureden, daß er sich irrte. Die Bleistiftspuren im Atlas und die im Telefonbuch notierte Adresse mußten nicht von Konovalenkos Hand stammen. Bald würde er auf der Rückfahrt nach Schonen sein.
Als er auf der Ölandseite angekommen war, hielt er an einem Informationsplatz, wo eine Autokarte der Insel hing, die er aufmerksam studierte. Der Hemmansvägen war eine Nebenstraße kurz vor der Einfahrt zum Tierpark. Er setzte sich ins Auto und bog nach rechts ab. Noch war nicht viel Verkehr. Nach ein paar Minuten hatte er die Straße gefunden. Er stellte den Wagen auf einem kleinen Parkplatz ab. Die Gegend war für den Autoverkehr gesperrt. Der Hemmansväg wurde von einer Mischung aus neugebauten und älteren Villen gesäumt, alle mit großen Gärten. Er spazierte die Straße entlang. Das erste Haus hatte eine Drei am Gartentor. Ein Hund musterte ihn mißtrauisch durch die Zaunlatten. Er ging weiter und rechnete sich aus, welches Haus Nummer 14 sein mußte. Er sah, daß es sich um eine der älteren Villen handelte, mit Erker und verschnörkelten Schnitzereien. Dann lief er denselben Weg wieder zurück. Er wollte |466| versuchen, sich der Villa von der Rückseite her zu nähern. Er durfte kein Risiko eingehen. Konovalenko und sein unbekannter Begleiter konnten im Haus sein, so unwahrscheinlich es auch war.
Auf der Rückseite lag ein Sportplatz. Er kletterte über den Zaun und zerriß sich dabei die Hose. Im Schutz einer hölzernen Tribüne schlich er sich dann an die Villa heran. Sie war gelb, hatte zwei Etagen und war in einer Ecke mit einem Türmchen verziert. Eine ausrangierte Würstchenbude war gegen den Zaun gelehnt. Geduckt rannte er von der Tribüne zur Bude. Dort zog er die Pistole aus der Tasche. Er blieb fünf Minuten reglos stehen und beobachtete die Villa. Alles war ruhig. In einem Winkel des Gartens gab es einen Geräteschuppen. Er beschloß, sich dort zu verstecken. Noch einen Augenblick nahm er die Villa in Augenschein. Dann ließ er sich vorsichtig auf die Knie hinunter und kroch zur Rückseite des Schuppens. Es war schwierig, über den Lattenzaun zu kommen. Er wäre beinahe auf den Rücken gefallen; es gelang ihm jedoch, die Balance wiederzugewinnen und unbeschadet zwischen Zaun und Schuppen zu landen. Er merkte, daß er keuchte. Das ist die Angst, dachte er. Das sind Konovalenkos Atemzüge, die mir im Nacken sitzen. Er reckte vorsichtig den Kopf und spähte aus seiner neuen Position zur Villa hinüber. Nach wie vor war alles ruhig. Der Garten war überwuchert und ungepflegt. Neben ihm stand eine Schubkarre mit modrigem Laub. Vielleicht war die Villa verlassen. Nach einer Weile war er beinahe davon überzeugt. Er wagte sich aus dem Schutz des Schuppens heraus und rannte zur Hauswand hinüber. Dann lief er nach rechts, um auf die andere Seite des Gebäudes zu gelangen, wo er an der Veranda die Eingangstür vermutete. Ein Igel zu seinen Füßen ließ ihn abrupt stehenbleiben. Mit einem Zischen richtete das Tier seine Stacheln auf. Wallander hatte die Pistole in die Tasche gesteckt. Nun nahm er sie wieder heraus, ohne richtig zu wissen, warum. Vom Sund her war ein Nebelhorn zu hören. Er bog um die Ecke und befand sich an der Schmalseite der Villa. Was mache ich hier? fragte er sich. Wenn es hier überhaupt jemanden gibt, dann sicher ein altes Ehepaar, das gerade aus ruhigem Schlaf erwacht ist. Was werden sie sagen, wenn sie einen |467| verirrten Kriminalkommissar durch ihren Garten schleichen sehen? Er kam ans Ende der Wand und schaute um die Hausecke.
Konovalenko stand auf dem Kiesweg an der Fahnenstange und pißte. Er war barfuß und trug Hosen sowie ein Hemd, das nicht zugeknöpft war. Wallander rührte sich nicht. Dennoch wurde Konovalenko durch seinen ständig wachsamen Instinkt für drohende Gefahren gewarnt. Er drehte sich um. Wallander hielt die Pistole in der Hand. Im Bruchteil einer Sekunde schätzten beide die Situation ein. Wallander merkte, daß sein Gegner den Fehler begangen hatte, das Haus ohne Waffe zu verlassen. Konovalenko begriff, daß Wallander ihn entweder töten oder ihm den Weg abschneiden würde, falls er versuchte, die Tür zu erreichen. Konovalenko war in eine Situation geraten, die ihm keine Wahl ließ. Mit
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