Wallander 03 - Die weisse Löwin
Wallander. »Wir wissen nur, daß sie erschossen wurde. Von den Pathologen in Malmö brauche ich vor allem zwei Auskünfte: zum einen alles über die Kugel, zum anderen einen Bericht, ob sie weitere Verletzungen hat, die auf Mißhandlungen hindeuten oder darauf, daß sie gefangengehalten wurde. Alles, was du finden kannst. Und natürlich muß ich wissen, ob sie einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen ist.«
»Die Kugel sitzt noch im Kopf«, sagte der Arzt. »Ich kann keine Austrittsöffnung entdecken.«
»Noch eine Sache«, sagte Wallander. »Ich möchte, daß man ihre Handgelenke und Fußknöchel untersucht und nach Spuren von Handschellen sucht.«
»Handschellen?«
»Genau«, wiederholte Wallander. »Handschellen.«
Björk hatte sich, während der Körper geborgen wurde, im Hintergrund gehalten. Als die Leiche auf eine Bahre gelegt |105| und durch eine Ambulanz ins Krankenhaus gefahren wurde, nahm er Wallander beiseite.»Wir müssen ihren Mann verständigen.«
Wir und wir, dachte Wallander. Du meinst, ich soll es tun.
»Ich werde Pastor Tureson mitnehmen«, sagte er.
»Du mußt versuchen herauszubekommen, wie lange er braucht, um alle nahen Verwandten zu benachrichtigen«, fügte Björk hinzu. »Ich befürchte, wir werden es nicht besonders lange geheimhalten können. Außerdem begreife ich nicht, warum ihr diesen Dieb so ohne weiteres habt laufenlassen. Er kann zu einer Abendzeitung gehen und einen Batzen Geld einstreichen, wenn er erzählt, was er hier gesehen hat.«
Björks schulmeisternder Tonfall ärgerte Wallander. Gleichzeitig mußte er zugeben, daß die Sorge nicht unbegründet war. »Ja«, sagte er. »Das war dumm. Meine Schuld.«
»Ich dachte, es war Svedberg«, sagte Björk.
»Es war Svedberg«, erwiderte Wallander. »Aber die Verantwortung liegt auf alle Fälle bei mir.«
»Du brauchst nicht gleich böse zu werden, wenn ich das zur Sprache bringe«, sagte Björk.
Wallander zuckte die Schultern. »Ich bin böse auf den, der Louise Åkerblom das angetan hat. Und ihren Töchtern. Und ihrem Mann.«
Der Hof war abgesperrt, die Untersuchung nahm ihren Lauf. Wallander setzte sich ins Auto und rief Pastor Tureson an. Er antwortete fast unmittelbar. Wallander informierte ihn. Pastor Tureson schwieg lange, bevor er antwortete. Er versprach, vor der Kirche auf Wallander zu warten.
»Wird er zusammenbrechen?« fragte Wallander.
»Er hat seinen Trost in Gott«, antwortete Pastor Tureson.
Wir werden sehen, dachte Wallander. Wir werden sehen, ob das ausreicht.
Aber er sagte nichts.
Pastor Tureson stand mit gebeugtem Kopf an der Straße.
Auf dem Weg in die Stadt hatte Wallander mit Mühe seine Gedanken gesammelt. Nichts fiel ihm so schwer, wie Angehörige |106| zu benachrichtigen, wenn jemand in der Familie plötzlich umgekommen war. Zunächst machte es keinen Unterschied, ob der Tod durch einen Unglücksfall, durch Selbstmord oder eine Gewalttat eingetreten war. Seine Worte waren unbarmherzig, so vorsichtig und rücksichtsvoll sie auch vorgebracht wurden. Er war der Todesbote, hatte er gedacht. Er erinnerte sich, was Rydberg, sein Freund und Kollege, gesagt hatte, einige Monate bevor er starb. »Es wird nie eine geeignete Art und Weise für Polizisten geben, die Botschaft von einem plötzlichen Tod zu überbringen. Deshalb werden wir weitermachen und es nie jemand anderem überlassen. Wir sind vermutlich geduldiger als andere, denn wir mußten mehr von dem sehen, was lieber niemand sehen sollte.«
Auf dem Weg in die Stadt hatte er auch darüber nachgedacht, daß das anhaltende Gefühl, etwas an der derzeitigen Ermittlung laufe schief, bald eine Begründung finden mußte. Er würde Martinsson und Svedberg fragen, ob sie seine Unruhe teilten. Gab es einen Zusammenhang zwischen dem abgehackten schwarzen Finger und Louise Åkerbloms Verschwinden und Tod? Oder war es nur ein Spiel unberechenbarer Zufälle?
Er dachte daran, daß es auch noch eine dritte Möglichkeit gab. Daß jemand bewußt Verwirrung stiftete.
Aber warum plötzlich dieser Todesfall, überlegte er. Das einzige Motiv, das wir bisher finden konnten, war unglückliche Liebe. Aber der Schritt, einen Mord zu begehen, ist sehr weit. Und dann noch so kaltblütig zu handeln, Wagen und Körper an ganz verschiedenen Stellen zu verstecken.
Wir haben vielleicht noch keinen einzigen Stein gefunden, den zu wenden sich lohnte. Was tun wir, wenn sich Stig Gustafson als uninteressant erweist?
Er dachte an die Handschellen. An Louise
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