Wallander 03 - Die weisse Löwin
war bestimmt fast Mitternacht, als ich nach Hause fuhr. Es war reichlich spät, da ich ja zeitig aufstehen mußte. Der Bus sollte schon um sechs vom Bahnhof abfahren. Der Bus nach Kastrup, meine ich.«
Wallander nickte. Stig Gustafson hat ein Alibi, dachte er. Wenn es stimmt, was er gesagt hat. Und wenn Louise Åkerblom wirklich am Freitag getötet wurde.
Es gab zu diesem Zeitpunkt keine ausreichenden Gründe, Stig Gustafson festzuhalten. Der Staatsanwalt würde einem derartigen Antrag niemals stattgeben.
Er ist es nicht, dachte Wallander. Wenn ich ihn wegen der Verfolgung Louise Åkerbloms in die Zange nehme, kommen wir auch nicht weiter.
Er erhob sich. »Warten Sie hier«, sagte er und verließ den Raum.
Sie trafen sich im Versammlungsraum und lauschten niedergeschlagen dem Bericht Wallanders.
»Wir müssen das, was er gesagt hat, überprüfen. Aber ich glaube nicht mehr daran, daß er der Täter ist. Das war ein Blindgänger.«
»Ich meine, du gehst zu übereilt vor«, wandte Björk ein. »Wir wissen doch nicht einmal, ob sie wirklich am Freitag nachmittag starb. Stig Gustafson könnte von Lomma nach Krageholm gefahren sein, nachdem er den Kartenspieler verlassen hatte.«
»Das klingt sehr unwahrscheinlich«, sagte Wallander. »Was sollte Louise Åkerblom so spät noch da draußen festgehalten haben? Vergiß nicht, daß sie auf dem Anrufbeantworter die Nachricht hinterlassen hat, sie sei um fünf zu Hause. Das müssen wir ernst nehmen. Irgend etwas ist vor fünf geschehen.«
Alle schwiegen.
Wallander ließ den Blick von einem zum anderen gehen. »Ich muß mit dem Staatsanwalt sprechen«, sagte er. »Wenn niemand Einwände hat, werde ich Stig Gustafson laufenlassen.«
Keiner äußerte sich dazu.
Kurt Wallander ging in den anderen Flügel des Polizeigebäudes hinüber, wo die Anklagebehörde ihre Büros hatte. Er wurde |122| zu Per Åkesson hereingebeten und gab ihm einen kurzen Bericht des Verhörs. Jedesmal, wenn Wallander Åkesson besuchte, fiel ihm die erstaunliche Unordnung auf, die in dessen Büro herrschte. Papiere lagen stapelweise auf Tisch und Stühlen, der Papierkorb quoll über. Aber Per Åkesson war ein fähiger Staatsanwalt. Und niemand hätte behaupten können, daß ihm ein einziges wichtiges Schriftstück weggekommen wäre.
»Ihn können wir nicht festhalten«, sagte er, als Wallander geendet hatte. »Ich nehme an, daß es nicht lange dauert, bis ihr sein Alibi geprüft habt?«
»Nein«, sagte Wallander. »Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, daß er es war.«
»Welche Spuren verfolgt ihr noch?« erkundigte sich Åkesson.
»Das ist sehr vage«, sagte Wallander. »Wir haben uns gefragt, ob er vielleicht jemanden angeheuert hat, um sie zu ermorden. Wir werden das jetzt am Nachmittag durchsprechen, bevor wir weitergehen. Aber andere Verdächtige haben wir nicht. Wir müssen weiter in der Breite arbeiten. Ich lass’ von mir hören.«
Per Åkesson nickte und schaute Wallander aus halbgeschlossenen Augen an.
»Wieviel schläfst du eigentlich?« fragte er. »Beziehungsweise: wie wenig? Hast du dich mal im Spiegel gesehen? Du siehst schrecklich aus!«
»So fühle ich mich auch«, sagte Wallander und erhob sich.
Er ging den Flur entlang zurück, öffnete die Tür zum Vernehmungszimmer und trat ein. »Wir werden Sie nach Lomma bringen lassen«, sagte er. »Aber wir werden uns sicher wieder melden.«
»Bin ich frei?« fragte Stig Gustafson.
»Sie sind immer frei gewesen«, erwiderte Wallander. »Verhört zu werden heißt noch lange nicht, daß man ein Gefangener ist.«
»Ich habe sie nicht getötet«, sagte Stig Gustafson. »Ich verstehe nicht, wie Sie das glauben konnten.«
»Nicht?« fragte Wallander. »Obwohl Sie ihr hin und wieder nachgeschlichen sind?«
Wallander sah, wie ein Schatten von Unruhe über Stig Gustafsons Gesicht glitt.
|123| Jetzt weiß er wenigstens, daß wir wissen, dachte Wallander.
Er begleitete Stig Gustafson zur Rezeption und sorgte für seinen Heimtransport.
Den sehe ich nie wieder, dachte er. Den können wir abschreiben. Nach dem Essen trafen sie sich wieder im Versammlungsraum. Wallander hatte die Pause genutzt, um zu Hause in der Küche ein paar belegte Brote zu essen.
»Wo sind all die gewöhnlichen Diebe?« seufzte Martinsson, als alle Platz genommen hatten. »Das hier scheint ja die reinste Räubergeschichte zu sein. Alles, was wir haben, ist eine gottesgläubige Tote, die man in einen Brunnen geworfen hat. Und ein abgehackter schwarzer
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