Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
das ist natürlich eine Sache, die nicht zuletzt moralisch zweifelhaft ist. Aber er deutete auch etwas viel Schlimmeres an.«
Nyberg verstummte plötzlich und schaute Wallander fragend an.
»Ich habe Zeit«, sagte Wallander. »Sprich weiter.«
»Für mich klang es völlig unbegreiflich«, sagte Nyberg. »Aber Strömberg überzeugte mich, daß es keine Grenzen gibt, wenn es darum geht, Geld zu verdienen.«
»Hast du das noch nicht gewußt?«
»Man denkt, daß der äußerste Punkt erreicht ist, aber es geht immer noch weiter.«
Nyberg setzte sich auf Wallanders Besucherstuhl. »Noch gibt es keinerlei Beweise«, fuhr er fort. »Aber Strömberg behauptet, daß es in Südamerika und Asien Organisationen gibt, bei denen man menschliche Organe bestellen kann. Es wird gemordet, um das Gewünschte zu beschaffen.«
Wallander schwieg.
»Geeignete Personen werden überfallen, betäubt und in private Kliniken gebracht. Dort werden die bestellten Organe herausoperiert. Später findet man die Leichen irgendwo in der Gosse.«
Wallander schüttelte den Kopf und schloß die Augen.
|249| »Er meinte auch, daß diese Art der Organbeschaffung in viel größerem Umfang stattfindet, als wir ahnen. Das Gerücht geht um, daß sie auch in Osteuropa und in den USA verbreitet ist. Eine Niere hat kein Gesicht, keine Identität. Man tötet ein Kind in Südamerika und verlängert jemandem in einem westlichen Land das Leben; jemandem, der bezahlen kann und nicht warten will, bis er mit einer Transplantation dran ist. Die Mörder verdienen eine Menge Geld.«
»Ein Organ aus einem menschlichen Körper zu entfernen kann nicht ganz einfach sein«, meinte Wallander. »Also müssen viele Ärzte beteiligt sein.«
»Na und? Wer behauptet denn, daß Ärzte moralisch höher stehen als andere Menschen?« fragte Nyberg bitter.
»Ich kann es trotzdem nicht glauben.«
»So ist der Mensch, und deshalb können diese Organisationen in aller Ruhe weitermachen«, sagte Nyberg, zog einen Notizblock aus der Tasche und blätterte darin. »Der Arzt gab mir den Namen einer Journalistin, die an diesen Sachen dran ist. Lisbeth Norin heißt sie, wohnt in Göteborg und schreibt für populärwissenschaftliche Zeitschriften.«
Wallander notierte sich den Namen. »Laß uns mal einen ganz bösen Gedanken denken«, schlug er dann vor und schaute Nyberg in die Augen. »Nehmen wir einmal an, Alfred Harderberg wäre daran beteiligt, Menschen töten zu lassen, um Nieren oder was auch immer auf dem offenbar existierenden illegalen Markt zu verkaufen. Nehmen wir weiter an, daß Gustaf Torstensson irgendwie davon erfahren und die Kühltasche als Beweis mitgenommen hat. Laß uns diesen bösen Gedanken mal zu Ende denken.«
Nyberg starrte Wallander ungläubig an. »Meinst du das ernst?«
»Natürlich nicht. Ich denke nur einen bösen Gedanken.«
Nyberg stand auf. »Ich versuche herauszufinden, woher der Behälter stammt.«
Als Wallander wieder allein war, stellte er sich ans Fenster und grübelte über Nybergs Bericht. Es konnte wirklich nur ein böser Gedanke sein. Alfred Harderberg spendete Gelder für |250| Forschungszwecke; er kümmerte sich um behinderte Kinder. Wallander erinnerte sich an Schenkungen zum Ausbau des Gesundheitswesens in verschiedenen afrikanischen und südamerikanischen Ländern.
Die Kühltasche in Gustaf Torstenssons Wagen mußte etwas anderes zu bedeuten haben. Oder auch gar nichts.
Dennoch ließ er sich von der Auskunft Lisbeth Norins Telefonnummer geben. Ein Anrufbeantworter schaltete sich ein.
Wallander hinterließ seinen Namen und seine Durchwahl.
Den Rest des Tages verbrachte er in quälendem Warten. Womit er sich auch beschäftigte, die Berichte Sven Nybergs und Ann-Britt Höglunds waren eigentlich wichtiger. Nachdem er seinen Vater angerufen und erfahren hatte, daß das Dach vom Orkan nicht beschädigt worden war, fuhr er mehr oder weniger konzentriert fort, alles zugängliche Material über Alfred Harderberg durchzuarbeiten. Ob er wollte oder nicht, die bemerkenswerte Karriere dieses Mannes aus Vimmerby faszinierte ihn. Wallander konstatierte, daß sich Harderbergs Geschäftsgenie schon sehr früh gezeigt hatte. Im Alter von neun Jahren hatte er Weihnachtszeitungen vertrieben und zugleich von seinen wenigen gesparten Kronen ältere Jahrgänge aufgekauft. Die hatte er billig bekommen, da nur die aktuellen Zeitungen verkäuflich zu sein schienen. Alfred Harderberg jedoch hatte die alten Zeitungen, preislich gestaffelt, mit den neuen
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