Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
rannte durch den Regen zum Wagen. Bei Fridolfs Konditorei hielt er an, trank Kaffee und aß zwei belegte Brote. Der Gedanke, während der Besprechung der Ermittlungsgruppe nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben, belastete ihn. Aber er war bereit, für Kurt Ström ein Zeugnis zu fälschen, sollte es sich als notwendig erweisen. Er dachte an Sten Torstensson, der ihn um Hilfe gebeten hatte. Er hatte ihn abgewiesen. Das mindeste, was er tun konnte, war jetzt, um jeden Preis Klarheit zu erlangen, wer ihn ermordet hatte.
Als er gegessen hatte, setzte er sich ins Auto, ohne den Motor anzulassen. Er beobachtete die Menschen, die durch den Regen hasteten, und dachte daran, wie er vor einigen Jahren betrunken von Malmö nach Ystad gefahren war und die eigenen Kollegen ihn erwischt hatten. Sie hatten geschwiegen, es war nie etwas herausgekommen. Das Korps hatte ihn geschützt. Peters und Norén, die beiden Kollegen, die seinen Zickzackkurs damals beendeten, hatten nicht für seine Bestrafung oder vielleicht sogar Suspendierung gesorgt, sondern einen Anspruch auf seine Loyalität erworben. Was würde an dem Tag passieren, an dem einer von beiden seine Schuld einforderte?
Kurt Ström sehnt sich im Innersten ins Polizeikorps zurück, dachte Wallander. Sein Zorn und seine angebliche Verachtung sind nur Oberfläche. Dahinter steht der Wunsch, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Wallander fuhr zum Polizeigebäude. Er ging zu Martinsson, der in seinem Büro saß und telefonierte. Als er aufgelegt hatte, fragte er sofort, wie es gelaufen sei.
»Ström wird nach einer italienischen Pistole suchen und Fingerabdrücke sammeln.«
|338| »Mir will immer noch nicht in den Schädel, daß er das alles ohne Gegenleistung zu tun bereit ist.«
»Ich kann es auch kaum glauben«, sagte Wallander ausweichend. »Aber vielleicht hat sogar einer wie Kurt Ström seine guten Seiten.«
»Sein erster Fehler war, daß er sich verrannt hat«, sagte Martinsson. »Der zweite, daß er alles zu groß und zu brutal anging. Wußtest du übrigens, daß er eine schwerkranke Tochter hat?«
Wallander schüttelte den Kopf.
»Er trennte sich von der Mutter des Kindes, als das Mädchen noch sehr klein war. Viele Jahre lang hatte er das Sorgerecht. Die Kleine hat irgendeine Muskelkrankheit. Schließlich, als es so schlimm wurde, daß er sie nicht mehr zu Hause pflegen konnte, kam sie in eine Klinik. Aber er besucht sie, sooft er kann.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich habe Roslund in Malmö angerufen und mich erkundigt. Ich sagte, ich sei zufällig auf Ström gestoßen. Ich glaube, Roslund weiß nicht mal, daß Ström auf Schloß Farnholm arbeitet. Ich habe es ihm natürlich auch nicht verraten.«
Wallander schaute aus dem Fenster.
»Wir müssen abwarten«, sagte Martinsson.
Wallander antwortete nicht; er war in Gedanken versunken. Schließlich zuckte er zusammen: »Entschuldige, ich habe dir nicht zugehört. Was hast du gesagt?«
»Daß wir nichts anderes tun können als warten.«
»Da hast du recht. Und es fällt mir verdammt schwer.«
Wallander verließ den Raum und ging in sein eigenes Büro. Dort setzte er sich und starrte auf die vergrößerte Darstellung von Alfred Harderbergs Imperium, die von den Wirtschaftsspezialisten in Stockholm erarbeitet worden war. Er hatte sie sorgfältig an die Wand gepinnt.
Eigentlich betrachte ich eine Weltkarte, dachte er. Die nationalen Grenzen sind durch die ständig wechselnden Einflußsphären verschiedener Unternehmen ersetzt, deren finanzielle Macht größer ist als die vieler Volkswirtschaften. Er suchte unter |339| den Papieren auf seinem Schreibtisch, bis er eine Übersicht über die zehn größten Unternehmen der Welt gefunden hatte; auch diese Übersicht hatten die pedantischen Stockholmer Kollegen zur Verfügung gestellt. Unter den zehn reichsten Unternehmen waren sechs japanische und drei amerikanische, dazu kam die britisch-holländische Royal Dutch Shell. Nach Branchen teilten sie sich in vier Banken, zwei Telekommunikationsunternehmen, einen Automobilhersteller und einen Ölkonzern, weiterhin gab es General Electric und Exxon. Er versuchte sich vorzustellen, welche Macht diese Unternehmen repräsentierten. Aber es war unmöglich für ihn, sich auszumalen, was diese Konzentration eigentlich bedeutete. Wie denn auch, er kapitulierte ja bereits vor Alfred Harderbergs Imperium, das sich im Vergleich wie ein Mäuschen neben zehn Elefanten ausnahm.
Einst hatte Alfred Harderberg Alfred
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