Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Ihnen sagen, wie sehr ich das Geschehene bedauere«, begann er vorsichtig. »Gustaf Torstensson habe ich ja nur bei wenigen Gelegenheiten getroffen. Aber Sten Torstensson kannte ich gut.«
»Er hat vor neun Jahren Ihre Scheidung übernommen«, sagte Berta Dunér.
Im selben Augenblick erinnerte sich Wallander an sie. Berta Dunér hatte ihn und Mona begrüßt, wenn sie in die Kanzlei kamen, um in gereizter Stimmung die Formalitäten ihrer Trennung zu regeln. Damals waren ihr Haar noch nicht so grau und ihre Figur kräftiger gewesen. Dennoch wunderte er sich, warum er sie nicht gleich erkannt hatte.
»Sie haben ein gutes Gedächtnis«, sagte er.
»Namen kann ich vergessen, aber niemals Gesichter.«
Was sollte er darauf antworten? Wallander sagte sich, daß er mit dem Besuch bei Berta Dunér hätte warten müssen. Er wußte nicht, wonach er fragen, womit er beginnen sollte. Und an die Umstände seiner Scheidung wollte er lieber nicht erinnert werden.
»Sie haben bereits mit meinem Kollegen Svedberg gesprochen«, sagte er schließlich. »Leider ist es bei schwereren Verbrechen oft notwendig, weitere Fragen zu stellen, und es kann nicht immer derselbe Kommissar sein.«
Im stillen stöhnte er über seine schwerfällige Art, sich auszudrücken. |52| Er war nahe daran, aufzustehen und mit einer Entschuldigung das Haus zu verlassen. Aber er zwang sich, die Gedanken zusammenzunehmen. »Wir müssen nicht darüber reden, wie Sie am Morgen ins Büro kamen und Sten Torstensson ermordet auffanden. Oder fällt Ihnen noch etwas ein, was Sie bisher vielleicht nicht erwähnt haben?«
Ihre Antwort kam bestimmt und ohne Zögern. »Nein, nichts. Es war so, wie ich es Herrn Svedberg geschildert habe.«
»Wann haben Sie denn am Abend zuvor das Büro verlassen?«
»Das war gegen sechs Uhr, vielleicht fünf Minuten nach sechs, nicht später. Ich hatte einige von Fräulein Lundin getippte Briefe durchgesehen. Dann rief ich Herrn Torstensson an und erkundigte mich, ob noch etwas zu tun wäre. Er sagte nein und wünschte mir einen guten Abend. Also zog ich mir den Mantel an und ging.«
»Die Tür fiel ins Schloß? Und Sten Torstensson blieb allein im Büro?«
»Ja.«
»Wissen Sie, was er an jenem Abend noch vorhatte?«
Sie sah ihn verwundert an. »Er wollte natürlich weiterarbeiten. Ein so beschäftigter Anwalt wie Sten Torstensson konnte nicht einfach nach Hause gehen, wenn es ihm paßte.«
Wallander nickte. »Ich weiß, daß er viel zu tun hatte. Ich möchte nur gern wissen, ob er mit einem speziellen, eiligen Fall befaßt war.«
»Alles war eilig«, sagte sie. »Da sein Vater zwei Wochen zuvor getötet worden war, hatte er natürlich ein enormes Arbeitspensum, das versteht sich wohl von selbst.«
Wallander stutzte. »Sie sprechen von dem Autounfall?«
»Wovon sonst?«
»Sie sagten, sein Vater sei getötet worden. Ich wundere mich über Ihre Wortwahl …«
»Man stirbt oder man wird getötet«, sagte sie. »Man stirbt in seinem Bett eines natürlichen Todes, wie es so schön heißt. Aber wenn man bei einem Autounfall umkommt, wird man ja wohl getötet, das müssen Sie doch zugeben?«
|53| Wallander nickte langsam. Er verstand, was sie gemeint hatte. Trotzdem war er unsicher, ob sie nicht noch etwas anderes gesagt, ob sie nicht unfreiwillig eine Botschaft ausgesandt hatte. Sofort mußte er an den Verdacht denken, der Sten Torstensson dazu getrieben hatte, ihn in Skagen zu besuchen.
»Können Sie sich aus dem Stegreif erinnern, was Sten Torstensson in der Woche davor getan hat?« fragte er. »Am Dienstag, dem 24., und Mittwoch, dem 25. Oktober?«
Sie antwortete, ohne zu zögern. »Da war er verreist.«
Sten Torstensson hatte also aus seiner Abwesenheit kein Geheimnis gemacht, dachte Wallander.
»Er sagte, er müsse mal für ein paar Tage raus und die Sorgen über den Tod des Vaters vergessen. Ich habe natürlich alle Termine für diese beiden Tage abgesagt.«
Plötzlich brach sie in Tränen aus. Wallander fühlte sich ganz hilflos. Nervös knarrte der Stuhl unter seinem Gewicht.
Hastig stand sie auf und lief in die Küche hinaus. Er hörte, wie sie sich die Nase putzte. Dann kam sie zurück. »Es ist so schwer«, sagte sie. »Es ist so unendlich schwer.«
»Ich verstehe.«
»Er hat mir eine Ansichtskarte geschickt«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. Wallander fürchtete, daß sie jeden Moment wieder die Fassung verlieren würde. Aber sie nahm sich zusammen.
»Wollen Sie sie sehen?« fragte sie.
»Ja,
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