Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Stuhl, auf dem jemand gesessen hatte, war nicht genau an seinen Platz zurückgestellt worden.«
»Haben Sie ihn nicht danach gefragt, ihn nicht darauf hingewiesen?«
»Das durfte ich nicht. Er hat es verboten.«
»Er hat also nicht über die nächtlichen Besuche gesprochen?«
»Man kann es einem Menschen ansehen, wenn er über etwas nicht sprechen will.«
Sie wurden unterbrochen, als Nyberg ans Küchenfenster klopfte.
»Ich bin gleich zurück«, sagte Wallander. Nyberg stand vor der Gartentür und streckte ihm die Hand hin. Wallander sah einen verbrannten Gegenstand, kaum größer als ein halber Zentimeter.
»Eine Plastikmine«, sagte Nyberg. »Das kann ich jetzt schon sagen.«
Wallander nickte.
»Möglicherweise finden wir heraus, von welchem Typ sie ist«, fuhr Nyberg fort. »Vielleicht sogar, wo sie hergestellt wurde. Aber das wird eine Weile dauern.«
»Eines würde mich in diesem Zusammenhang noch interessieren. Kannst du irgend etwas über die Person sagen, die die Mine vergraben hat?«
»Das wäre mir vielleicht möglich gewesen, wenn du kein Telefonbuch geworfen hättest.«
|114| »Die Mine war leicht zu entdecken.«
»Jemand, der etwas davon versteht, legt eine Mine so, daß man sie nicht sieht. Sowohl du als auch die Frau, die in der Küche sitzt, habt gesehen, daß sich jemand am Rasen zu schaffen gemacht hat. Da waren Amateure am Werk.«
Oder jemand, der diesen Eindruck erwecken wollte, dachte Wallander. Als er wieder in der Küche war, hatte er nur noch eine Frage. »Gestern nachmittag bekamen Sie Besuch von einer asiatisch aussehenden Frau. Wer war das?«
Sie starrte ihn an. »Woher wissen Sie das?«
»Das spielt keine Rolle. Beantworten Sie bitte meine Frage.«
»Sie macht in der Kanzlei sauber«, sagte Frau Dunér.
So einfach ist das, dachte Wallander enttäuscht.
»Wie heißt sie?«
»Kim Sung-Lee.«
»Wo wohnt sie?«
»Ich habe ihre Adresse im Büro.«
»Was wollte sie gestern hier?«
»Sie hat sich erkundigt, ob sie weiterarbeiten soll.«
Wallander nickte. »Ich möchte ihre Adresse gern haben«, sagte er und stand auf.
»Was geschieht nun?« fragte Frau Dunér.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Ich werde dafür sorgen, daß sich immer ein Polizist in Ihrer Nähe aufhält, solange es nötig ist.«
Er verabschiedete sich von Nyberg und fuhr zum Polizeigebäude. Unterwegs hielt er an Fridolfs Konditorei und kaufte sich ein paar belegte Brote. Er schloß sich in seinem Zimmer ein und bereitete sich auf den Bericht bei Björk vor.
Aber als er in dessen Büro kam, erfuhr er, daß der Chef nicht im Haus war. Die Berichterstattung mußte warten.
Es war ein Uhr, als Wallander an die Tür zu Per Åkesons Dienstzimmer am anderen Ende des langen, schmalen Polizeigebäudes klopfte. Wenn er das Büro betrat, war er jedesmal von neuem erstaunt über das Chaos, das hier zu herrschen schien. Der Schreibtisch war voller halbmeterhoher Papierstapel; Akten |115| lagen auf dem Boden und auf den Besucherstühlen. An einer Wand lagen Hanteln auf einer nachlässig zusammengerollten Matte.
»Hast du angefangen zu trainieren?«
»Nicht nur das«, antwortete Per Åkeson zufrieden. »Neuerdings halte ich auch täglich ein Mittagsschläfchen. Ich bin gerade erst aufgewacht.«
»Schläfst du auf dem Boden?« fragte Wallander.
»Nur dreißig Minuten. Aber dann arbeite ich mit neuer Energie.«
»Vielleicht sollte ich es auch einmal mit dieser Methode versuchen.«
Per Åkeson räumte einen der Stühle leer, indem er die Akten einfach auf den Fußboden warf. Dann setzte er sich wieder und legte die Füße auf den Schreibtisch. »Was dich angeht, hatte ich die Hoffnung fast aufgegeben«, sagte er lächelnd. »Aber im Innersten wußte ich doch, daß du zurückkommen würdest.«
»Das war eine schlimme Zeit«, sagte Wallander.
Per Åkeson wurde plötzlich ernst. »Im Grunde kann ich mir nicht vorstellen, was das bedeutet, einen Menschen zu töten. Notwehr hin oder her, es ist doch die einzige Handlung, von der es kein Zurück gibt. Meine Phantasie reicht gerade aus, den Abgrund zu ahnen.«
Wallander nickte. »Man vergißt es nie. Aber man kann vielleicht lernen, damit zu leben.«
Sie saßen schweigend und hörten, wie sich auf dem Flur jemand über den defekten Kaffeeautomaten beschwerte.
»Wir sind in einem Alter, du und ich«, sagte Per Åkeson. »Vor einem halben Jahr wachte ich eines Morgens auf und dachte: Herrgott, das Leben! Soll es das denn gewesen sein? Ich muß zugeben,
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