Wallander 05 - Die falsche Fährte
wählen, die auf dem schwarzen Seidentuch lagen. Schließlich hatte er sich für die kleinste entschieden, die er bisher noch nicht benutzt hatte. Er schob sie in den breiten Ledergürtel und setzte den Helm auf. Wie früher war er barfuß, als er den Raum verließ und die Tür verschloß.
Der Abend war sehr warm. Er fuhr auf kleinen Nebenstraßen, die er auf der Karte genau ausgesucht hatte. Er würde fast zwei Stunden brauchen und rechnete damit, kurz nach elf am Ziel zu sein.
Am Tag davor hatte er seine Pläne ändern müssen. Der Mann war plötzlich von seiner Auslandsreise zurückgekehrt. Da hatte Hoover sogleich beschlossen, nicht das Risiko einzugehen, ihn noch einmal entwischen zu lassen. Er hatte Geronimos Herz gelauscht. Das rhythmische Schlagen der Trommeln in seiner Brust hatte ihm Geronimos Botschaft übermittelt. Er sollte nicht warten, sondern die Gelegenheit nutzen.
|340| Die Sommerlandschaft bekam durch das Visier seines Helms eine blaue Färbung. Zu seiner Linken erkannte er das Meer, die Lichter von Schiffen und die vom dänischen Festland. Er fühlte sich froh und heiter. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis er seiner Schwester das letzte Opfer darbringen konnte, das ihr aus dem Nebel, der sie umgab, heraushelfen würde. Sie würde mitten im schönsten Sommer ins Leben zurückkehren.
Er erreichte die Stadt kurz nach elf. Fünfzehn Minuten später stand er auf einer Straße neben der großen Villa, die, von hohen und schützenden Bäumen umgeben, tief in einem alten Garten lag. Er stellte das Moped an einen Laternenmast und schloß es mit einer Kette an. Auf dem Bürgersteig auf der anderen Straßenseite ging ein älteres Ehepaar mit seinem Hund Gassi. Er wartete, bis sie verschwunden waren, bevor er den Helm abnahm und im Rucksack verstaute. Im Schutz der Schatten lief er auf die Rückseite des alten Gartens, der an einen Fußballplatz grenzte. Er versteckte den Rucksack im Gras und kroch dann durch die Hecke, in der er schon lange einen Durchschlupf vorbereitet hatte. Es kratzte und stach an seinen bloßen Armen und Beinen, aber er machte sich unempfindlich gegen alle Schmerzen. Geronimo würde es nicht dulden, wenn er Schwäche zeigte. Er hatte einen heiligen Auftrag, der in dem Buch geschrieben stand, das er von seiner Schwester erhalten hatte. Der Auftrag erforderte seine ganze Kraft, und er war bereit, das Opfer darzubringen.
Er befand sich in der Mitte des Gartens, so nah war er dem Untier noch nie gewesen. Im Obergeschoß brannte Licht, während im Untergeschoß alles dunkel war. Zorn stieg in ihm auf, als er daran dachte, daß seine Schwester vor ihm hiergewesen war. Sie hatte das Haus beschrieben, und er dachte daran, es eines Tages bis auf den Grund niederzubrennen. Aber heute noch nicht. Vorsichtig lief er zur Hauswand und öffnete behutsam das Kellerfenster, von dem er vorher schon die Haken abgeschraubt hatte. Es war kein Problem hineinzuklettern. Hoover befand sich in einem Apfelkeller. Der schwache Duft säuerlicher Äpfel, die schon früher dort gelagert hatten, umgab ihn. Er lauschte. Alles war still. Lautlos schlich er die Kellertreppe hinauf. Er erreichte die große Küche. Immer noch alles still. Das einzige Geräusch war ein schwaches |341| Rauschen in ein paar Wasserrohren. Er stellte den Herd an und öffnete die Backofentür. Dann schlich er zur Treppe, die nach oben führte. Er hatte die Axt jetzt aus dem Gürtel gezogen. Er war vollkommen ruhig.
Die Tür zum Badezimmer war angelehnt. Aus seinem Dunkel im Flur erkannte er den Mann, den er töten würde. Er stand vor dem Badezimmerspiegel und schmierte sein Gesicht mit Creme ein. Hoover glitt hinter der Badezimmertür herein. Wartete. Als der Mann das Licht löschte, hob er die Axt. Er schlug nur einmal zu. Der Mann fiel lautlos auf den Teppich. Mit der Axt trennte er ein Stück der Kopfhaut vom Schädel. Den Skalp stopfte er in die Tasche. Dann zog er den Mann die Treppe hinunter. Er war im Schlafanzug. Die Hose glitt von seinem Körper und schleifte an einem Fuß hinterher. Hoover vermied es, ihn anzusehen.
Als er den Mann in die Küche geschleift hatte, lehnte er ihn über die Backofenluke. Dann schob er seinen Kopf in die Hitze. Fast unmittelbar nahm er den Geruch der schmelzenden Gesichtscreme wahr. Er verließ das Haus auf dem gleichen Weg, den er gekommen war.
Im Morgengrauen vergrub er den Skalp unter dem Fenster seiner Schwester. Jetzt fehlte nur noch das zusätzliche Opfer, das er ihr bringen
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