Wallander 05 - Die falsche Fährte
wieder seinen Aufzeichnungen vom Vorabend zu. Um kurz nach acht rief Ann-Britt Höglund an und fragte, ob er fertig sei. Er stand auf, nahm seine Jacke und traf sie in der Anmeldung. Auf seinen Vorschlag hin gingen sie zu Fuß, um Zeit zu finden, sich auf das Gespräch mit Carlmans Tochter vorzubereiten. Wallander wußte nicht einmal, wie die junge Frau hieß, die ihn geohrfeigt hatte.
|377| »Erika«, sagte Ann-Britt Höglund. »Ein Name, der schlecht zu ihr paßt.«
»Wieso?« fragte Wallander erstaunt.
»Ich stelle mir zumindest eine robuste Person vor, wenn ich den Namen Erika höre«, sagte sie. »Eine Kaltmamsell in einem Hotel, eine Kranfahrerin.«
»Paßt Kurt zu mir?« fragte er.
Sie nickte fröhlich. »Es ist natürlich Unsinn, eine Persönlichkeit mit einem Namen zu verbinden«, sagte sie. »Aber es macht mir Spaß, so als Spiel ohne tieferen Sinn. Andrerseits kann man sich nur schwer vorstellen, daß eine Katze Fido heißt. Oder ein Hund Missan.«
»Gibt es aber bestimmt«, sagte Wallander. »Was wissen wir jetzt von Erika Carlman?«
Auf ihrem Weg zum Krankenhaus hatten sie den Wind im Rücken und die Sonne schräg von der Seite. Ann-Britt Höglund konnte berichten, daß Erika Carlman siebenundzwanzig Jahre alt war. Sie hatte für kurze Zeit als Stewardeß bei einer kleineren englischen Charterfluggesellschaft im Inlandverkehr gearbeitet. Außerdem hatte sie viele verschiedene Jobs gehabt, ohne jemals lange zu bleiben oder größeres Engagement zu zeigen. Mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters hatte sie die ganze Welt bereist. Eine Ehe mit einem peruanischen Fußballspieler war nach kurzer Zeit aufgelöst worden.
»Das hört sich für mich nach einer ganz gewöhnlichen höheren Tochter an«, meinte Wallander. »Der von Anfang an das meiste in den Schoß gefallen ist.«
»Ihrer Mutter zufolge hat sie schon als Teenager hysterische Tendenzen gezeigt. Das hat sie gesagt, hysterisch. Richtiger wäre es vermutlich, von neurotischen Anlagen zu sprechen.«
»Hat sie früher schon einmal einen Selbstmordversuch unternommen?«
»Nein. Jedenfalls wußte niemand etwas davon. Ich hatte nicht das Gefühl, daß ihre Mutter mich anlog.«
Wallander dachte nach.
»Sie muß es ernst gemeint haben«, sagte er. »Sie wollte wirklich sterben.«
|378| »Das ist auch mein Eindruck.«
Sie gingen weiter. Wallander konnte Ann-Britt Höglund nicht länger verschweigen, daß Erika Carlman ihn geschlagen hatte. Es bestand die Möglichkeit, daß sie den Vorfall erwähnte. Dann gäbe es keine Erklärung mehr dafür, warum er es nicht erzählt hatte, außer seiner männlichen Eitelkeit.
Bei der Einfahrt zum Krankenhaus blieb Wallander stehen und erzählte ihr alles.
Sie war verblüfft.
»Ich glaube kaum, daß es etwas anderes war als ein Anflug dieser hysterischen Anlage, von der ihre Mutter gesprochen hat«, sagte er.
Sie gingen weiter. Dann blieb Ann-Britt Höglund wieder stehen.
»Das kann problematisch werden«, sagte sie. »Sie ist vermutlich in sehr schlechter Verfassung. Sicher ist ihr bewußt, sich während einiger Tage an der Schwelle des Todes befunden zu haben. Wir wissen nicht einmal, ob sie es bedauert oder sogar verflucht, daß es ihr nicht gelungen ist, sich das Leben zu nehmen. Wenn du ins Zimmer kommst, kann das ihrem eh schon schlechten Gewissen einen endgültigen Knacks geben. Oder sie aggressiv, ängstlich und verschlossen machen.«
Wallander sah ein, daß sie recht hatte. »Dann sprichst du am besten allein mit ihr. Ich setze mich in die Cafeteria.«
»Dann müssen wir zuerst einmal besprechen, was wir eigentlich von ihr wissen wollen.«
Wallander wies auf eine Bank am Taxistand des Krankenhauses. Sie setzten sich.
»In einer Ermittlung wie dieser hofft man ständig, daß die Antworten interessanter sind als die Fragen«, begann er. »Auf welche Weise hatte ihr versuchter Selbstmord mit dem Tod ihres Vaters zu tun? Das sollte dein Ausgangspunkt sein. Wie du dahin gelangst, kann ich dir nicht raten. Die Karte mußt du selbst zeichnen. Ihre Antwort wird die Fragen hervorbringen, die du brauchst.«
»Nehmen wir an, sie sagt ja. Sie war so überwältigt von ihrer Trauer, daß sie nicht mehr leben wollte.«
|379| »Dann wissen wir das.«
»Aber was wissen wir damit eigentlich?«
»Du mußt Anschlußfragen stellen, die wir jetzt nicht voraussagen können. War es ein liebevolles Vater-Tochter-Verhältnis? Oder war es etwas anderes?«
»Und wenn sie nein sagt?«
»Dann sollst du ihr
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