Wallander 05 - Die falsche Fährte
sie vom Luftzug zugeschlagen würde. Ich habe Wasser getrunken.«
»Ich dachte, du wachst nachts nie auf?«
»Die Zeiten sind vorbei. Ich schlafe manchmal schlecht. Wenn mir viel im Kopf herumgeht.«
Eigentlich sollte er sich blöd vorkommen, dachte Wallander. Aber seine Erleichterung war stärker. Seine Reaktion hatte ihm vor Augen geführt, daß er Ekholms Worte bedeutend ernster nahm, als ihm selbst bewußt war. Er setzte sich aufs Sofa. Sie blieb stehen und sah ihn an.
»Ich habe mich oft gefragt, wie du so gut schlafen kannst«, sagte sie. »Wenn ich daran denke, was du alles mit ansehen mußt. Was du alles mitkriegst.«
»Das wird zur Gewohnheit«, antwortete Wallander und wußte, daß es nicht der Wahrheit entsprach.
Sie setzte sich neben ihn. »Ich habe gestern in einer Abendzeitung geblättert, als Kajsa Zigaretten kaufte. Da stand viel über das, was in Helsingborg passiert ist. Ich begreife nicht, wie du das aushältst.«
»Die Zeitungen übertreiben.«
»Kann man übertreiben, wenn jemandem der Kopf in den Backofen gesteckt wird?«
Wallander versuchte, ihren Fragen zu entkommen. Er wußte nicht, ob um seinetwillen oder um ihretwillen. »Das ist eine Sache für den Gerichtsmediziner«, erwiderte er. »Ich untersuche nur den Tatort und versuche zu verstehen, was passiert ist.«
|373| Sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Mich hast du nie belügen können. Mama vielleicht, aber mich nie.«
»Ich habe doch Mona nie belogen?«
»Du hast ihr nie gesagt, wie sehr du sie mochtest. Wenn man etwas nicht ausspricht, kann das auch auf eine nicht wahrheitsgemäße Aussage hinauslaufen.«
Er blickte sie überrascht an. Ihre Wortwahl kam unerwartet.
»Als ich klein war, habe ich immer heimlich in den Papieren gelesen, die du abends mit nach Hause gebracht hast. Manchmal, wenn du mit Fällen zu tun hattest, die wir spannend fanden, habe ich meine Freundinnen mitgebracht. Wir haben in meinem Zimmer gesessen und Zeugenvernehmungen gelesen. Damals habe ich viele solche Wörter gelernt.«
»Davon habe ich nie etwas geahnt.«
»Das solltest du ja auch nicht. Sag mir lieber, wer deiner Meinung nach eben in der Wohnung gewesen sein könnte.«
Sie wechselte das Gesprächsthema sehr schnell. Er beschloß ebenso rasch, zumindest teilweise die Wahrheit zu sagen. Es komme vor, erklärte er ihr, wenn auch äußerst selten, daß Polizeibeamte in seiner Position, vor allem diejenigen, die oft in den Zeitungen oder im Fernsehen in Erscheinung traten, die Aufmerksamkeit von Verbrechern auf sich zogen, die sich dann auf sie fixierten. Normalerweise war das kein Grund zur Besorgnis. Aber man konnte nie vorhersagen, was eigentlich noch normal war. Es konnte jedenfalls von Vorteil sein, sich des Phänomens bewußt zu sein. Trotzdem war es noch ein sehr großer Schritt dahin, sich Sorgen zu machen.
Sie glaubte ihm kein Wort.
»Der Mensch, der da eben mit dem Schlagring stand, war sich aber nicht eines Phänomens bewußt«, sagte sie. »Was ich gesehen habe, war mein Vater, der Polizist ist. Und er hatte Angst.«
»Vielleicht hatte ich einen Alptraum«, sagte er zögernd. »Und jetzt erzähle du mir, warum du nicht schlafen kannst.«
»Ich mache mir Gedanken darüber, was ich mit meinem Leben anfangen soll.«
»Was Kajsa und du mir vorgeführt habt, war doch gut.«
»Ja, aber nicht so gut, wie wir eigentlich wollen.«
|374| »Du hast noch Zeit, es weiter zu probieren.«
»Eigentlich will ich vielleicht etwas ganz anderes machen.«
»Was denn?«
»Darüber denke ich nach, wenn ich nachts aufwache. Ich schlage die Augen auf und denke, daß ich es noch immer nicht weiß.«
»Du kannst mich jederzeit wecken«, sagte er. »Als Polizist habe ich jedenfalls gelernt zuzuhören. Die Antworten mußt du dir wohl eher von anderen holen.«
Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Ich weiß«, sagte sie. »Du kannst gut zuhören. Besser als Mama. Aber die Antworten kann doch nur ich selbst mir geben.«
Sie blieben noch lange sitzen. Erst um vier Uhr, als es schon ganz hell war, gingen sie wieder ins Bett. Lindas Bemerkung, er könne besser zuhören als Mona, bereitete Wallander Genugtuung.
In einem zukünftigen Leben würde er nichts dagegen haben, alles besser zu machen als sie. Jetzt, wo es Baiba gab.
Wallander stand kurz vor sieben auf. Linda schlief. Er trank nur hastig eine Tasse Kaffee, bevor er aus dem Haus ging. Das Wetter war noch immer schön, doch es war windiger geworden. Als er im Präsidium eintraf, stieß
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